Die Hilfsorganisation World Bicycle Relief will Menschen in Afrika mit Fahrrädern mobil machen.
Gemüse muss zum Markt, die Kinder in die Schule und das Pflegepersonal zu den Patienten. Alltägliche Mobilität, die für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung unumgänglich ist. Also braucht man Straßen, Autos, Busse, Eisenbahnen – Infrastruktur, für die gerade in Flächenstaaten immense Investitionen notwendig sind. Viele afrikanische Staaten geraten dabei an ihre Belastungsgrenze. Die Städte ertrinken im Verkehr, viele Menschen im ländlichen Raum bleiben abgeschnitten, der Transport rudimentär.
Wie könnte eine an die lokalen Bedingungen angepasste Lösung aussehen? Das haben sich die Initiatoren der internationalen Hilfsorganisation World Bicycle Relief (WBR) gefragt, ursprünglich angeregt durch die Notsituation nach dem Tsunami im Indischen Ozean 2004. Die Menschen mobil machen, damit sie selbst den Wiederaufbau, den Zugang zu Gesundheit und Bildung voranbringen können. Fahrräder waren der Ansatz. Allerdings wurden die vorhandenen Modelle aus indischer oder chinesischer Fertigung den harten Anforderungen vor Ort nicht gerecht. Die Lebensdauer war sehr begrenzt.
Nach einer Analyse des Angebots weltweit lautete die Antwort: Wir machen es selbst. Aus dieser Idee ist 2006 das Buffalo Fahrrad entstanden, ein einfaches, stabiles und haltbares Fahrrad ideal für den Einsatz im ländlichen Afrika. Viele Komponenten, wie der Rahmen, der Ständer oder der belastbare Gepäckträger, sind Eigenentwicklungen und werden von verschiedenen Zulieferern im Auftrag gefertigt. Die Endmontage erfolgt in den Projektländern. Im Februar 2020 wurde in Kenia das 500.000ste Buffalo-Fahrrad übergeben, Zeichen für die große Nachfrage auf einem wachsenden Markt. Seit 2013 hat World Bicycle Relief eine Dependance in Deutschland.
Unabhängig und mobil – Fahrräder verändern den afrikanischen Alltag
Das Fahrrad, eine verblüffend einfache Lösung für ein komplexes Problem. Wie haben Sie die gefunden?
"All answers are found in the field", ist das Motto von F.K. Day und Leah Missbach-Day, den Gründern der World Bicycle Relief. Eigene Anschauung vor Ort und vor allem ein Blick für die Bedürfnisse und Möglichkeiten der Menschen stehen am Anfang. Und die natürliche Affinität zum Fahrrad. Denn Day steht auch hinter dem Komponenten-Hersteller SRAM in den USA, der zum Beispiel die am Lenker angebrachte Schaltung erfunden hat. Die Übernahme der Fahrradsparte von Sachs brachte das Unternehmen nach Deutschland. So kam auch das deutsche Büro von World Bicycle Relief im Jahr 2013 nach Schweinfurt. Drittes Element ist die Zusammenarbeit mit Partnern. Das sind vor allem NGOs und Hilfsorganisationen, die in den Programmländern aktiv sind.
Wer ist die Zielgruppe? Wie haben Sie diese erreicht?
Das Buffalo-Fahrrad ist gedacht für Menschen, deren Teilnahme am gesellschaftlichen Leben bisher durch fehlende Mobilität eingeschränkt war. Also zum Beispiel der Farmer, der seine Produkte zum Markt bringen will, Schülerinnen, die stundenlange Fußwege zur Schule zurücklegen müssen oder Krankenschwestern, die Patienten in abgelegenen Dörfern sonst nicht erreichen könnten. Sie erhalten die Fahrräder entweder im Rahmen von WBR-eigenen Entwicklungsprojekten oder vereinbaren als Einzelkäufer eine Mikrofinanzierung mit lokalen Akteuren. Das sind zum Beispiel Molkereien, die so ihre Lieferanten unterstützen oder Unternehmen, die ihren Angestellten Räder über Finanzierungsprogramme ermöglichen.
Was kosten die Fahrräder? Und wie werden sie finanziert?
Der Abgabepreis über das Social Business Buffalo Bicycles Ltd. beträgt derzeit zum Beispiel für Sambia 170 US-Dollar. In Hilfsprogrammen werden die Räder für 134 Euro gespendet, das sind Produktionskosten ohne Margen. Für Spenden hat WBR Fundraising-Büros in den USA, in Deutschland, dem Vereinigten Königreich, der Schweiz, Kanada und Australien eingerichtet. Spender sind sowohl Privatpersonen als auch Unternehmen, oft aus der Fahrradbranche oder dem Mobilitätssektor, aber auch Privatpersonen, Schulen oder Vereine. Mittlerweile werden aber genauso viele Räder verkauft wie über Spenden finanziert. Abnehmer sind Organisationen oder Unternehmen vor Ort, aber auch einzelne Farmen. Für diese haben wir eine Shop-Struktur aufgebaut. Dort stehen geschulte Mitarbeiter für Verkauf und Service zu Verfügung und halten Ersatzteile vor. In Sambia beispielsweise gibt es bereits neun solcher Shops, weitere sind in Planung.
Gab es Probleme bei der Umsetzung? An welchen Herausforderungen arbeiten Sie noch?
Auf der Nutzerseite mussten wir sicherstellen, dass auch wirklich die Zielgruppen von der neuen Mobilität profitieren. Dass also nicht der Vater seine Besorgungen mit dem Fahrrad erledigt, mit dem die Tochter zur Schule fahren sollte. Hier setzen wir auf die Eigenverantwortung der Dorfgemeinschaften. Ein Komitee aus Kindern, Lehrern und Eltern sorgt dafür, dass die Fahrräder gemäß ihrem Zweck eingesetzt werden. Im Konfliktfall kann das Komitee das Rad auch wieder einziehen. Das ist aber nur sehr selten nötig.
Auf technischer Seite ging es im Wesentlichen um die Stabilität - der Gepäckträger kann bis zu 100 Kilogramm tragen. Nach anfänglichen Experimenten mit Herren- und Damenrädern haben wir uns deshalb für ein einheitliches Modell mit leicht gebogenem Oberrohr und etwas kleineren 26-Zoll-Rädern entschieden, das für alle Nutzergruppen handhabbar ist. Mittlerweile liefern wir die Räder je nach Einsatzregion auch mit Handbremsen aus. Wir arbeiten mit unseren Ingenieuren an weiteren Verbesserungen - am wichtigsten ist es immer, dass alle Teile den extremen Bedingungen von Sand, Staub, Hitze und Rüttelpisten standhalten können und gleichzeitig zu vertretbaren Kosten produzierbar sind. Für die Nachhaltigkeit ist es außerdem wichtig, dass alles vor Ort und ohne Spezialwerkzeuge reparierbar ist.
In welchen Ländern ist das Buffalo-Fahrrad bisher zu haben?
Die derzeitigen Programmländer sind Ghana, Kenia, Malawi, Sambia, Simbabwe und Kolumbien. In 15 weiteren Ländern in Afrika, Asien und Lateinamerika haben wir bisher Räder ausgeliefert, teils in eigenen Programmen, teils an Programmpartner.
Das Interview führte Dr. Marcus Knupp von Germany Trade & Invest.
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