Vulkanisieren eines Bodenbelages

Vulkanisieren eines Bodenbelages

José Bonetti ist zum zweiten Mal nach Nordafrika gekommen. In Tunesien war er fünf Jahre als beratender Ausbilder für Touristikschulen tätig. Heute leitet er das Kompetenzzentrum Berufsbildung der deutschen Auslandshandelskammer (AHK) Marokko. Es entstand vor drei Jahren in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ). Ziel war es, eine eigene Abteilung für Berufsbildung zu gründen, um deutsche und marokkanische Unternehmen bei der Einführung der Ausbildung nach dem deutschen Modell zu unterstützen. Das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanzierte Programm „Business Scouts for Development“ wird von der GIZ durchgeführt und gehört seit Anfang des Jahres zur Agentur für Wirtschaft und Entwicklung. 

Marokkos Wirtschaft zieht Investoren an

Herr Bonetti, was hat Sie am marokkanischen Markt am meisten überrascht?

José Bonetti AHK Marokko/privat José Bonetti

Die Dynamik der marokkanischen Wirtschaft! Die Vielzahl von Infrastrukturprojekten wirkt wie ein Magnet für ausländische Investoren. Es entstehen immer mehr Freihandelszonen sowie moderne Frachthäfen, Autobahnen und Eisenbahnstrecken. Investoren können ihre Produktion schnell und unkompliziert starten, da sie keine Grundstücke erwerben müssen. Mieten reicht völlig aus. Der marokkanische Staat bietet gut angebundene Produktionsstandorte für unterschiedliche Bedürfnisse an. Innerhalb von 18 Stunden können die Waren dann die deutschen Märkte für die Weiterverarbeitung erreichen. Dies bietet ein enormes Potenzial auch für den Export deutscher Berufsbildung nach Marokko.

Wie ist das marokkanische Berufsbildungssystem aufgebaut?

Es gibt drei Hauptsäulen: Die staatlich gelenkte Berufsbildung bringt die meisten Fachkräfte hervor. Allerdings gibt es erhebliche Differenzen zwischen Ausbildungsinhalten und den benötigten Kompetenzen auf dem Arbeitsmarkt. Zweitens die Lehrlingsausbildung. Sie ähnelt dem deutschen Dualen System und wird meist von Handwerkskammern begleitet. Es bringt zwar sehr gute Fachpraktiker hervor, jedoch nur in wenigen Berufen.

Woran liegt das?

Die Zulassungsvoraussetzungen für die Lehrlingsausbildung sind niedrig, es handelt sich überwiegend um niederschwellige Berufe im Handwerk. Die soziale Akzeptanz ist daher gering.

Und die dritte Säule?

Das sind private Bildungsträger, die verschiedene Variationen anbieten. Diese Unternehmen benötigen eine Akkreditierung des Bildungsministeriums, um staatlich anerkannte Abschlüsse zu vergeben. Die Qualität der Fachkräfte variiert stark bei diesem Modell und es ist oft nur der besser situierten Schicht zugänglich.

Das deutsche Duale System genießt in vielen afrikanischen Ländern einen sehr guten Ruf. Gilt das auch für Marokko?

Tatsächlich ja! Deutschland genießt einen exzellenten Ruf in Bezug auf berufliche Bildung. Allerdings ist vielen Menschen die Funktionsweise des Dualen Systems mit seinem hohen Anteil an betrieblicher Ausbildung kaum bekannt. Konkret merkt man, dass die Bedeutung der Betriebe bei der Ausbildung oft unterschätzt wird. 

Große Systemdifferenzen bei der Berufsbildung

Was sind die größten Hürden für die Etablierung des deutschen Modells?

Die größte Hürde liegt in der mächtigen Infrastruktur des marokkanischen Berufsbildungssystems. Die Einführung des deutschen Modells erfordert eine separate parallele Struktur, da die beiden Modelle nicht kompatibel sind. Betriebe, die nach unserem Modell ausbilden möchten, müssen sich von Grund auf selbst organisieren, da der marokkanische Staat es sich nicht leisten kann, zwei Systeme parallel zu betreiben. Obwohl die Gesetzgebung verschiedene Möglichkeiten bietet und explizit die Ausbildung nach dem deutschen Modell erlaubt und sogar regelt, fehlt es an passender Infrastruktur. 

Woran mangelt es genau?

Es beginnt bei fehlenden Lehrplänen, setzt sich fort mit der Ausbildung der betrieblichen Ausbilder, die von ihrer regulären Tätigkeit freigestellt werden müssen, und endet bei geeigneten Berufsschulen. Dadurch ist die Ausbildung im Vergleich zu Deutschland sehr kostspielig.

Welche Anfragen bekommen Sie von Unternehmen?

In der Regel erhalten wir von Unternehmen, die ihre eigenen Mitarbeiter ausbilden, Anfragen bezüglich einer Ausbildungszertifizierung durch die AHK Marokko. Ein Beispiel wäre Stahlschmidt Marokko. Die Firmen erhoffen sich dadurch bessere Chancen bei Ausschreibungen. Darüber hinaus gibt es neu angesiedelte Industriebetriebe, die einen konkreten Bedarf an Ausbildung haben und von der AHK Marokko begleitet werden möchten. Dies erfordert eine detaillierte Planung und Finanzierung, was Zeit und Geld in Anspruch nimmt. Es gibt jedoch interessante Fördermöglichkeiten durch die GIZ im Rahmen von Public Private Partnerships (develoPPP) des BMZ. Bei der Antragstellung sind wir behilflich.

Angebotsvielfalt und Kooperationspartner für Unternehmen

Welche Angebote bietet die AHK im Bereich Berufsbildung?

Unser Angebot im Bereich Berufsbildung ist breit gefächert und umfasst unter anderem die Eignungsprüfung von Ausbildungsstätten, die Schulung betrieblicher Ausbilder, die Registrierung von Ausbildungsverhältnissen, die Entwicklung von Organisationsstrukturen und -dokumenten, die Einrichtung von Berufsbildungsgremien und Prüfungskommissionen, die Organisation von Prüfungen sowie die Zertifizierung von Ausbildungen. Diese Dienstleistungen können individuell in Anspruch genommen werden. Darüber hinaus bietet unsere eigene, kürzlich eingeführte AHK-Akademie Weiterbildungen für Fachkräfte an.

Berufsbildungsprojekte der AHK Marokko

  • Das „Programme Migration & Emploi“ (PME), das mit Qualifizierungsmaßnahmen die Integration von RückkehrerInnen aus Deutschland in das wirtschaftliche und soziale Leben in Marokko verbessern will.

  • Die Beteiligung am Projekt „Competence Center On Automation“ (CCOA), das Technologien der Automatisierung 4.0 und der Digitalisierung vermittelt mit dem Ziel, neue Arbeitsplätze zu schaffen und die Beschäftigungsmöglichkeiten in der marokkanischen Industrie zu verbessern.

Mit welchen Partnern arbeiten Sie zusammen?

Unsere Kooperationspartner sind projektbedingt das Goethe-Institut, verschiedene Bildungsträger, die GTAI und die GIZ.

Können Sie uns ein Projektbeispiel nennen?

In den letzten drei Jahren haben wir eng mit der GIZ zusammengearbeitet und dabei sowohl eigenständige Projekte durchgeführt als auch an deren Umsetzung mitgewirkt. Aktuell sind wir am Projekt „Tamheen II“ beteiligt, das darauf abzielt, die Beschäftigungsfähigkeit von Jugendlichen und Frauen in Marokko zu stärken. Dazu sollen in Zusammenarbeit mit Unternehmen aus der Logistik- und IT-Branche neue Ansätze in der Berufsbildung entwickelt, umgesetzt und konsolidiert werden.

Fachkräfte finden und binden

Fachkräfte zu finden ist bekanntlich eine Herausforderung. Ist auch das Abwerben von Personal in Marokko ein Thema? 

Ja, Marokko bildet dabei keine Ausnahme. In zahlreichen Branchen und Sektoren gestaltet sich die Suche nach qualifizierten Fachkräften als schwierig, und ihre Bindung an das Unternehmen kann ebenfalls problematisch sein. Dies ist häufig auf Ungleichgewichte von Angebot und Nachfrage sowie auf den Brain-Drain zurückzuführen, bei dem gut ausgebildete Fachkräfte das Land verlassen. 

Wie können Unternehmen darauf reagieren?

Zur Bewältigung dieser Herausforderungen müssen Unternehmen in Marokko verschiedene Strategien zur Mitarbeiterbindung und -entwicklung umsetzen. Dazu gehören attraktive Vergütungspakete, Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten, eine positive Arbeitsumgebung sowie Maßnahmen zur Förderung von Mitarbeiterengagement und -loyalität.

Das Interview führte Samira Akrach von Germany Trade & Invest im März 2024.

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