Das Team des VDA-AAAM Projektbüros präsentiert sich auf der Internationalen Automobil-Ausstellung 2023 in München.
Afrika gilt für die internationale Automobilindustrie als Markt der Zukunft. Das weiß auch der Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA). Er unterhält seit Mitte 2020 eine vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unterstützte Partnerschaft mit dem panafrikanischen Automobilverband „African Association of Automotive Manufacturers“ (AAAM), den Fahrzeughersteller und Zulieferer 2015 gegründet hatten. Victoria Backhaus-Jerling leitet seit 2020 das Projektbüro der beiden Partnerverbände im südafrikanischen Johannesburg. Im Interview spricht sie über die Ziele der Kooperation und erläutert, was es aus ihrer Sicht für ein Abheben des Marktes noch braucht.
Potenzial für Absatzmärkte und Produktionsstandorte in Afrika
Frau Backhaus-Jerling, wie sind die Aussichten für den Absatz von Neuwagen in Afrika?
Mit den richtigen Rahmenbedingungen könnte er bis 2035 von derzeit rund 1,1 Millionen auf mindestens 3,5 Millionen Einheiten steigen.
Aktuell kommen in Afrika 42 Fahrzeuge auf 1.000 Einwohner, im weltweiten Durchschnitt sind es 182. Indien, wo Einwohnerzahl und Pro-Kopf-Einkommen vergleichbar mit Afrika sind, produziert heute 4,4 Millionen Fahrzeuge jährlich.
Woran klemmt es in Afrika denn am meisten?
Wir sprechen bei Afrika von über 50 Ländern, da dürfen wir nicht pauschalisieren. Im Groben lässt sich jedoch sagen: Die wenigsten Verbraucher können den Preis eines Neufahrzeugs ohne ein Finanzierungsmodell bezahlen. Die Kreditzinsen dafür liegen in manchen Ländern aber bei 25 Prozent. Zentrale Hindernisse sind auch fehlende Logistikkorridore, hohe Zölle und nichttarifäre Handelshemmnisse sowie die Flut an alten, teilweise nicht verkehrstüchtigen Gebrauchtwagen.
Wie werden Sie da tätig?
AAAM berät Regierungen bei der Umsetzung gesetzlicher Rahmenbedingungen, die es ermöglichen, eine Industrie überhaupt erst anzusiedeln. Ziel beider Verbände, also auch des VDA, ist der Aufbau einer nachhaltigen Automobilindustrie. Afrika ist nicht nur Absatzmarkt für uns, sondern ganz klar auch Produktionsstandort. Die Automobilindustrie kann zu einer nachhaltigen Industrialisierung des Kontinents beitragen und langfristige Arbeitsplätze schaffen. Gleichzeitig dürfen sich die Märkte jedoch nicht abschotten, denn Handel trägt ebenfalls zur Industrialisierung bei.
Nicht nur Südafrika und Marokko im Blick
Welche Länder gehen die Herausforderungen denn schon an?
Eines davon ist Ghana, wo wir auch unser zweites Projektbüro führen. Dort montieren deutsche und asiatische Hersteller bereits Kfz aus importierten Bausätzen. Das Land gilt damit als erstes Automobilcluster in der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS.
Die ghanaische Regierung hat eine sogenannte „Automotive Policy“ auf den Weg gebracht, die durch Zollanreize vor Ort produzierende Unternehmen begünstigt. Die Policy soll auch die Einfuhr von Gebrauchtwagen begrenzen, welche nicht straßentauglich und älter als zehn Jahre sind. Diese Maßnahmen müssen allerdings noch umgesetzt werden, das steht für 2024 an. Jüngst hat die Regierung im Rahmen der UN-Klimakonferenz COP 28 einen Fahrplan für die Transformation zur Elektromobilität in Ghana vorgelegt.
Welche weiteren Zielländer bilden den Fokus Ihrer Verbändepartnerschaft?
Neben bereits etablierten Märkten wie Südafrika und Marokko sind dies die Elfenbeinküste, Ägypten und Kenia. Diese Staaten haben den Willen, durch entsprechende Gesetze die Ansiedelung einer Industrie zu fördern. Darüber hinaus sind unter anderem Tunesien, Algerien, Äthiopien, Senegal und Nigeria an der Weiterentwicklung und am Aufbau einer heimischen Automobilindustrie interessiert. Neben dem Aufbau panafrikanischer Handelswege ist für uns der Ausbau der Handelsbeziehungen zwischen Afrika und Europa prioritär.
Die längste Tradition im Automobilbau in Afrika hat Südafrika. Ist die dortige Politik Vorbild für den Kontinent?
Ja, viele Länder bauen auf dem südafrikanische Automobilprogramm APDP auf. Dieses Gesetz bietet Anreize für Fahrzeughersteller und Zulieferer, in die lokale Herstellung zu investieren – abhängig etwa vom Produktionsvolumen, vom Umfang des lokalen Anteils oder von der Exportleistung. Allerdings ist das APDP recht komplex.
Regionale Integration steht erst am Anfang
Ist auch die fehlende Integration der vielen unterschiedlichen Regionen Afrikas ein Problem?
Dies behindert tatsächlich den Austausch zwischen den Ländern und das Entstehen größerer Märkte, die sich wirtschaftlich bedienen lassen. Deshalb arbeiten wir auch eng mit dem Sekretariat der Afrikanischen Freihandelszone und der African Export-Import Bank zusammen. Nur durch regionale Integration können Märkte wachsen.
Gibt es in Afrika schon grenzüberschreitende Lieferungen von Teileherstellern an Autoproduzenten?
Ja. So beliefert ein deutscher Zulieferer aus Botsuana die Fahrzeugwerke im benachbarten Südafrika. Es gibt auch in anderen Ländern bereits Unternehmen, die in eine automobile Wertschöpfungskette integriert werden könnten. Wir sind überzeugt, dass fast jedes Land zu einer automobilen Wertschöpfungskette auf dem Kontinent beitragen kann – auch aufgrund vorhandener Rohstoffe oder bereits lokal etablierter Firmen. Dafür müssen jedoch die richtigen Voraussetzungen, vor allem auch rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden.
E-Mobilität treibt Diversifizierung der Lieferketten voran
Durch den Hochlauf der Elektromobilität rücken Rohstoffe in den Blickpunkt. Welche Rolle kann Afrika dabei spielen?
Ein Teil der Rohstoffe für Halbleiter und Batterien kommt aus Afrika. Die Weiterverarbeitung erfolgt jedoch größtenteils in Asien. Die Automobilindustrie arbeitet an der Diversifizierung ihrer Lieferketten, um noch resilienter zu werden. Das bietet für Afrika große Chancen.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Wir erstellen derzeit gemeinsam mit unseren Mitgliedsunternehmen, AAAM und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) eine Studie zu erneuerbaren Antrieben in Ägypten. Dabei analysieren wir, welcher Antrieb in Ägypten kurz-, mittel- und langfristig Sinn ergibt, aufgrund vorhandener Rohstoffe, der Infrastruktur und anderer Faktoren vor Ort.
Welcher Aspekt der Entwicklungsarbeit ist hier besonders wichtig?
Die Kooperation mit der Privatwirtschaft. Entwicklungszusammenarbeit auf Augenhöhe funktioniert nur mit dem Know-how der Privatwirtschaft. Gerade innerhalb unseres Projektes sehen wir, welchen Mehrwert die Industrie hat und wie viele nachhaltige Arbeitsplätze dadurch vor Ort geschaffen werden können. Ich würde mir auch in Zukunft wünschen, dass vermehrt Projekte der Privatwirtschaft von der deutschen Bundesregierung unterstützt werden.
Das Interview führte Ulrich Binkert von Germany Trade & Invest im Dezember 2023.
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