Exotischen Besuch hatten im August 2022 Hafen-Dienstleister und Logistikfirmen in Hamburg und Hannover: Eine Delegation aus Somaliland warb um Engagement in ihrer Region am Horn von Afrika, das sich 1991 unabhängig von Somalia erklärt hatte. Der dortige Hafen Berbera verfügt nach einem umfassenden Ausbau durch den emiratischen Logistikgiganten DP World über ein leistungsfähiges Containerterminal.
Der Industrie- und Investitionsminister von Somaliland, Abdillahi Aareh, warb um Investoren für den Hafen in Berbera.
Berbera soll künftig einen großen Teil des Außenhandels des Nachbarlands Äthiopien abwickeln, der heute fast ausschließlich über Dschibuti ein paar hundert Kilometer nordwestlich läuft. Auch die EU-Kommission in Brüssel hat Berbera im Blick - als Endpunkt eines "strategischen Korridors" durch Ostafrika.
Industrie- und Investitionsminister Abdillahi Aareh berichtet im Interview von den Standortvorteilen des Hafens Berbera und weiteren Ausbauprojekten, darunter eine Freizone, die bereits im Bau ist, und eine Zementfabrik. Der Aufbau von Geschäftsbeziehungen habe hohe Priorität in Somaliland und gelinge trotz fehlender internationaler staatlicher Anerkennung. Zahlreiche Investitionen bringe die Somaliland-Diaspora im Ausland mit, die auch in Deutschland aktiv sei.
Pragmatismus schlägt Politik
Abdillahi Aareh, konnten Sie schon deutsche Investoren für die geplante Logistikdrehscheibe Berbera begeistern?
Wir sind im Gespräch. Eine Freizone um den Hafen ist im Aufbau und mehrere ausländische Firmen haben dort bereits investiert, auch wenn mir noch keine deutsche bekannt ist: Toyota, Hyundai oder Caterpillar, aber auch Getränkehersteller und ein Papierverarbeiter. Über den Straßenkorridor nach Äthiopien können sie alle auch unser Nachbarland bedienen sowie Südsudan und weitere Märkte in Ostafrika.
Kann man als ausländische Firma eigentlich Geschäfte machen in einem Land, das international nur von Taiwan als Staat anerkannt wird?
Fragen Sie ausländische Investoren wie DP World, die haben in Somaliland meines Wissens höhere Gewinnspannen als anderswo. Somaliland ist eine Nation, in dem geschäftliche Angelegenheiten höchste Priorität haben. Es gibt auch somaliländische Unternehmen, die gute Geschäfte zum Beispiel in Mogadischu machen und umgekehrt. Alle gehen da sehr pragmatisch zu Werke. Es gibt sogar offizielle Vertretungen Großbritanniens und der Vereinigten Arabischen Emirate in unserer Hauptstadt Hargeisa, außerdem eine Botschaft von Äthiopien und dort eine von Somaliland.
Finden deutsche Anbieter überhaupt zahlende Kunden in Somaliland? Das Land gilt als sehr arm und ist nicht an das internationale Bankensystem angeschlossen.
Hier laufen gerade Pläne für den Bau einer Zementfabrik. Dafür ist nicht nur die Machbarkeitsstudie fertig, die Investoren stemmen aller Voraussicht nach auch die erforderlichen knapp 300 Millionen US-Dollar. Und zwar gänzlich aus lokalen Finanzquellen. Somaliländische und ausländische Händler verdienen hier und auch im Ausland ordentlich Geld.
Somalilands Diaspora im Ausland spielt also eine große Rolle in der Entwicklung?
Absolut. Die Diaspora betreibt geschätzt 60 Prozent unserer lokalen Geschäftswelt. Hinter „ausländischen“ Firmen in Somaliland verbergen sich sehr oft Somaliländer, die in den Emiraten, in Nordamerika oder Europa leben. Sie sehen die guten Geschäftsmöglichkeiten in ihrer alten Heimat und wollen unser Land entwickeln. Auch deutsche Firmen können diese Diaspora in Deutschland für Wirtschaftskontakte nutzen.
Sind Sie eigentlich ebenfalls Teil der Diaspora?
Nein. Ich wuchs etwa 100 Kilometer westlich von Hargeisa auf, nahe der Grenze zu Äthiopien, habe immer in Somaliland gearbeitet und auch hier studiert. Nur mein Masterstudium habe im Ausland absolviert, in Malaysia. Von meinen Ministerkollegen allerdings stammen schon einige aus der somaliländischen Diaspora in Übersee.
Wo sehen Sie denn gute Geschäftschancen für deutsche Firmen?
An erster Stelle im Bergbau. Unsere Erde birgt viele Mineralien, die ein Industrieland benötigt. Vor unserer langen Küste gibt es zudem reiche Fischgründe; so errichten nationale Investoren mit ausländischen Partnern gerade eine Fabrik für Fischkonserven in Berbera. Wir bieten auch gute Bedingungen für die Herstellung von Nahrungsmitteln und Getränken, die wir bisher ja zum größten Teil importieren müssen. Coca-Cola produziert seit Jahren bei Hargeisa, und in der Freizone Berbera siedeln sich gerade mehrere Branchenunternehmen an. Chancen gibt es auch in der Land- und Viehwirtschaft.
Marktchancen sogar in der Landwirtschaft
In der Landwirtschaft? Somaliland macht gerade mit einer Hungersnot von sich reden und ist doch sehr trocken, oder?
Sicher, aber um die 40 Prozent unserer Fläche lassen sich landwirtschaftlich entwickeln, wir haben fruchtbare Böden. Es gibt nämlich durchaus Landstriche mit nennenswertem Niederschlag. Im Westen des Landes zum Beispiel, nahe meiner Heimat, sind es jährlich um die 400 Millimeter (Berlin: rund 580, Anm. der Redaktion). Das Problem ist, dass zu viele dieser Niederschläge ungenutzt ablaufen und nicht agrarisch genutzt werden. Einheimische und ausländische Unternehmen haben bereits in unsere Landwirtschaft investiert, wenn auch in kleinem Ausmaß.
Somaliland war eine Kolonie der Briten und Sie waren nach Hamburg einige Wochen in London. Warum hoffen Sie explizit auf das Engagement deutscher Firmen?
Deutschland hat hier vor rund 50 Jahren die technische Ausbildung aufgebaut, mit sehr nachhaltigen und positiven Auswirkungen. Es gibt die Vorstellung, dass deutsche Unternehmen ihre Projekte hundertprozentig, mit Engagement und Pünktlichkeit durchführen. Davon wollen wir profitieren.
Nochmal zum „Transportkorridor“ von Berbera nach Äthiopien, ist der schon richtig in Betrieb?
Momentan fahren, je nach Ankunft der Schiffe, täglich 50 bis 200 Lastkraftwagen vom Hafen nach Äthiopien. Das ist schon rund ein Zehntel des Verkehrs von Dschibuti in unser Nachbarland. Der erste Teil der Straße von Berbera nach Hargeisa ist fertiggestellt. Die Instandsetzung der Strecke bis zur äthiopischen Grenze sollte Ende 2022 abgeschlossen sein, ebenso die aufwändige Umfahrung von Hargeisa. Auf äthiopischer Seite bis Addis Abeba ist der Korridor fertiggestellt.
Lkw nach Äthiopien können durchfahren
Müssen die Lkw lange an der Grenze zu Äthiopien warten?
Nein, bei ordentlichen Papieren können die eigentlich ohne größere Wartezeit durchfahren. Um den Berbera-Korridor besser nutzen zu können, strebt Somaliland mit Äthiopien den Abschluss eines umfassenden Handels- und Transitabkommens an. Bisher arbeiten wir hier auf der Basis einzelner bilateraler Vereinbarungen. Wir glauben jedoch, dass sowohl Somaliland als auch Äthiopien entschlossen sind, das Handels- und Transitabkommen zu erreichen, sofern die noch offenen technischen Fragen geklärt werden.
Das Interview führte Ulrich Binkert von Germany Trade & Invest im Oktober 2022.
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