Automobilbranche: Eindruck aus der täglichen Arbeit im VW-Werk Südafrika
Bevor Thomas Schäfer im August 2020 die Leitung von Skoda übernahm, war er fünfeinhalb Jahre lang Geschäftsführer der Volkswagen Gruppe in Südafrika und für Subsahara-Afrika. Er berichtet über seine Erfahrungen auf dem Kontinent, über Leuchtturmprojekte und darüber, wie deutsche Unternehmen – auch Mittelständler – in Afrika Fuß fassen können.
Weitaus mehr Chancen- als Katastrophenkontinent
Starten wir mit zwei Klischees: Katastrophenkontinent oder Chancenkontinent. Wo würden Sie Afrika zwischen diesen beiden Polen einordnen?
Ich sehe Afrika ganz klar viel mehr als Chancenkontinent denn als Katastrophenkontinent. Zunächst: Afrika ist nicht homogen. Es gibt sicher Länder, die eher im Katastrophenbereich liegen, aber es gibt deutlich mehr Länder, die sich in Richtung Chancenkontinent bewegt haben, so wie Ruanda und Ghana.
Sie haben wichtige Entwicklungsschritte vollbracht und diese mit großer Klarheit weitergeführt. Ich glaube, es liegt eine Chance darin, dass Leuchttürme entstehen. Diese geben den anderen zu denken und fördern die Nachahmung.
In Ruanda, wo wir eine VW-Produktion und ein Pilotprojekt zur Elektromobilität angeschoben haben, konnten wir tatsächlich so einen Leuchtturmeffekt erzielen. Sie glauben gar nicht, was wir mit unseren Projekten bei anderen afrikanischen Ländern losgetreten haben. Da wurden wir angerufen und es hieß, wenn ihr schon nach Ruanda geht, dann wollen wir nicht die letzten sein. Die Reaktionen waren teils schon sehr erheiternd.
Gemeinsam auftreten
Was ist mit den mittelständischen und kleineren Unternehmen? Wo sehen Sie da Einstiegschancen?
Sowohl für den Mittelstand als auch für große Unternehmen kann es schwierig sein, in solche Chancenmärkte einzusteigen und Fuß zu fassen. Das hat einfach mit der fehlenden Marktgröße zu tun. Auch für uns ist der Neuwagenmarkt noch nicht ganz da. Wir bereiten aber einen Zukunftsmarkt vor.
Was deutschen Unternehmen hilft, ist der Zusammenhalt. Hier ist unser Projekt Moving Rwanda ein gutes Beispiel. Das haben wir nicht alleine gemacht; vielmehr konnten wir uns mit Siemens, SAP und mit dem Planungsunternehmen Inros Lackner unterhaken, weil unsere Partner gesagt haben: "Mensch, wenn Volkswagen geht, dann können wir mitgehen." Man muss sich gegenseitig helfen, das Risiko miniminieren und ein Stück weit auch den Aufwand minimieren.
Deutsche Unternehmen sollten also im Paket und solidarisch auftreten?
Ganz genau, wir haben ja verschiedene Institutionen, wie den Afrika-Verein der Deutsche Wirtschaft. Am besten, man beteiligt sich an Events vor Ort. Jedenfalls muss man schauen, wo man sich ergänzen kann. Da sind uns die Chinesen ein stückweit voraus, die betreiben die Zusammenarbeit untereinander ganz aktiv.
Corona hat Afrika zurückgeworfen
Die Coronapandemie stellt Länder nicht nur vor enorme gesundheitliche, sondern auch vor wirtschaftliche Herausforderungen. Wie wird Afrika diese bewältigen können?
Wir hatten spezifisch zu Südafrika sehr große Sorge, dass es, wegen der enormen gesundheitlichen Vorschäden und der Lebensbedingungen, zu erheblichen Infektionen und Todesfällen kommt. Bei den Todesfällen waren die Zahlen kleiner als erwartet. Bei den Infektionen hingegen war die Entwicklung heftig, und das bei einem Gesundheitssystem, das nicht sehr belastbar ist.
Auf dem afrikanischen Kontinent gab es unterschiedliche Ansätze - Länder wie Ghana, sind eigentlich gut durchgekommen: sie haben in Schulen die Maskenpflicht eingeführt und auch die Nachverfolgung gut hinbekommen. Aber es gibt natürlich auch Länder, bei denen es nicht gut funktioniert hat.
Wirtschaftlich gesehen waren wir in den letzten zwei bis drei Jahren auf einer ganz guten Entwicklungsspur. Gerade die deutsche Bundesregierung hat sich stark gemacht für Afrika. Die Entwicklungserfolge haben sich jetzt - trotz anhaltender Bemühungen - natürlich auch verzögert. Die Bundesregierung bleibt aber am Ball und wir auch.
Toll fand ich, dass uns die Bundesregierung beim Bau eines vorübergehenden Krankenhauses unterstützt hat, das wir in Port Elizabeth für die Behandlung von Corona-Patienten eingerichtet haben. Das war ein wichtiges und starkes Signal an die Südafrikaner, weil wir zeigen konnten, dass es uns nicht nur ums Geldverdienen geht, sondern, dass wir Deutschen, wenn es tatsächlich gilt, zu den Südafrikanern halten.
Der Aufbau von Beziehungen gehört zum Afrikageschäft. Da geht um gesunde und nachhaltige Geschäftsbeziehungen, man muss Vertrauen aufbauen und zeigen, dass es einem nicht um den reinen Eigennutz geht. Das ist übrigens nirgends auf der Welt anders.
Südafrika unter seinem Potenzial
Südafrika steht schon seit geraumer Zeit an einem Scheideweg. Was wünschen Sie sich für den größten Industriestandort auf dem Kontinent?
Ich muss immer wieder staunen, wie weit Südafrika unter seinem Potenzial spielt. Wir erleben, wie andere Länder in Afrika mit deutlich weniger Ressourcen Erfolge aufweisen.
Die Positivliste zu Südafrika ist dabei lang: Es gibt Bodenschätze und den Tourismus; Südafrika verfügt über Institutionen, die auch funktionieren; es gibt eine ausgebaute Infrastruktur, etwas, worüber andere afrikanische Länder kaum im Ansatz verfügen. Das industrielle Potenzial und die industrielle Substanz sind da.
Südafrika muss aufhören, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Mit einer guten Führung und einem klaren Planungshorizont hat das Land meines Erachtens eine gute Zukunft vor sich. Die großen Themen, müssen stärker angegangen werden: dazu zählen die Überschuldung und die Dysfunktionen des staatlichen Stromkonzerns Eskom.
Die staatlichen Betriebe sind überwiegend in einem desolaten Zustand. Die Korruptionsthemen der letzten Jahre haben das Land an den Rand des Abgrunds gebracht und müssen weiter aufgearbeitet werden. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, wirklich intensiv die offenen Fragen anzugehen. Und ich glaube, es passiert schon. Die Corona-Pandemie kann da als Katalysator dienen.
Im Großen und Ganzen bleibe ich optimistisch – und das auch im Hinblick auf die Autoindustrie. In Afrika gibt es nur zwei wirkliche Kfz-Industrien. Die mit Abstand größte ist in Südafrika und die andere in Marokko. Südafrika verfügt über eine ausgebaute Zulieferindustrie mit einem gut aufgestellten Mittelstand. Es geht jetzt darum, den Sektor stärker auf den Kontinent auszurichten.
Afrikanische Freihandelszone eine riesige Chance
Und da spielt die geplante afrikanische Freihandelszone eine wichtige Rolle.
Richtig. Sicherlich wird die African Continental Free Trade Area nicht von heute auf morgen umgesetzt. Auch Rom ist nicht über Nacht gebaut worden. Aber es gibt jetzt schon im Automobilbau verschiedene Länder in Afrika, die bereit wären zusammenzuarbeiten, also vor Abschluss der Freihandelszone.
VW in Südafrika ist dazu mit Ghana, Kenia und Ägypten im Gespräch. Es geht darum, Lieferketten zu etablieren, Komponenten auszutauschen und die industrielle Zusammenarbeit zu vertiefen. Wir nennen das den Pan-African Auto Pact. Und wenn wir auch erst einmal klein anfangen, beispielsweise bilateral zwischen Ghana und Südafrika, dann ist das schon ein guter Schritt auf dem Weg zu mehr wirtschaftlicher Integration.
Wie wird VW den Automobilsektor in Afrika mitgestalten können und worauf werden sich die Autobauer in Afrika einstellen müssen?
Ich gehe davon aus, dass Subsahara-Afrika ohne Südafrika mittelfristig durchaus ein Potenzial von 4 bis 5 Millionen Neufahrzeugen hat. Da stimmen mir übrigens einiger meiner Branchenkollegen zu, die sich mit dem Thema beschäftigen. Heute liegen wir gerade einmal bei 150.000, wenn überhaupt. Die fehlende Marktgröße ist überwiegend darauf zurückzuführen, dass die politischen Weichenstellungen für den Aufbau einer Automobilindustrie noch fehlen.
Nigeria könnte mit seinen 200 Millionen Einwohnern 2 bis 2,5 Millionen Fahrzeuge pro Jahr nachfragen. Das wären mindestens zehn große Autofabriken; und wenn Sie sich überlegen was das - inklusive Zulieferindustrie und der ganzen Wertschöpfungskette - für Arbeitsplätze schaffen würde, dann ist das schon enorm. Für den Aufbau einer Kfz-Industrie fehlt aber eine Politik, die sauber strukturiert und organisiert ist.
Nigeria importiert fast ausschließlich gebrauchte Fahrzeuge, die Qualität der Kraftstoffe ist schlecht und dem Kunden fehlen die Finanzierungsmöglichkeiten. Das sind alles Themen, die man mit politischem Willen angehen könnte. Um diese politischen Prozesse zu unterstützen, haben wir gemeinsam mit einigen Automobilherstellern und Zulieferern die African Association of Automotive Manufacturers gegründet.
Als Automobilbauer muss man also in gewisser Weise Politikberater sein?
Absolut, wir müssen da immer beratend tätig sein. Wenn ich mit afrikanischen Politikern gesprochen habe, habe ich immer das Beispiel China angeführt. Dort hat sich der Erfolg eingestellt, als der politische Wille, eine Automobilindustrie aufzubauen, gepaart wurde mit dem industriellen Mut einiger Unternehmen.
Das gleiche brauchen wir in Afrika: wir brauchen den politischen Willen einerseits, aber auch andererseits den Mut zu investieren. Indem wir der Politik Mut machen und parallel dazu investieren, wollen wir einen Prozess anschieben; mit dem Versprechen wohlgemerkt, mehr zu investieren, wenn weitere Schritte von Seiten der Politik folgen. Gewinnt solch ein Prozess eine Eigendynamik, ist mittelfristig mit einem hohen Marktwachstum zu rechnen, und das wiederum bietet gute Chancen für Mittelständler und große Unternehmen.
Man kann schwer von dem Kontinent loslassen
Zum Abschluss, Herr Schäfer: Was waren für Sie die Highlights Ihrer Tätigkeit für VW in Afrika?
Zu nennen wären unsere Aktivitäten in Ruanda, die Lichtgeschwindigkeit, mit der wir es dort geschafft haben, eine Firma zu gründen, praktisch aus dem Nichts. Auch die Unterstützung, die wir dort durch die Regierung erhalten haben, war für mich spektakulär.
Weiteres Highlight war am Schluss der Bau des Krankenhauses in Port Elizabeth. Viele hatten bezweifelt, dass sich das Projekt wie geplant umsetzen lässt.
Ansonsten habe ich viele, viele gute Eindrücke gesammelt: In Ruanda durfte ich einmal ein Gorilla-Baby taufen, ich habe fast alles in Afrika gesehen und glauben Sie mir: es ist schwer, von dem Kontinent loszulassen. Nicht zuletzt ist Südafrika auch meine Heimat, meine Frau ist Südafrikanerin und für uns war das natürlich eine tolle Zeit hier in Südafrika.
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Das Interview führte Fausi Najjar von Germany Trade & Invest im Dezember 2020.