Einsatz von Prothesen von Ottobock in Nigeria
Aus Westafrika hat es zuletzt weniger gute Nachrichten gegeben. Auch im Norden von Nigeria werden Menschen durch Anschläge verletzt, verstümmelt oder sogar getötet. Die Konflikte sind aber nicht der Grund dafür, warum der deutsche Prothesenhersteller Ottobock in Afrikas bevölkerungsreichstem Land zuletzt so viel verkauft hat. Es liegt am Wohlstand, sagt beim Vertriebspartner Ifean Health der Geschäftsführer Ejike Anih in seinem Büro in Nigerias Wirtschaftsmetropole Lagos.
Wohlstandskrankheiten sorgen für Nachfrage
Herr Anih, das mit dem Wohlstand müssen Sie erklären.
Sieben von zehn unserer Patienten, die eine Prothese brauchen, kommen zu uns wegen einer Amputation aufgrund von Diabetes Typ II. Das ist eine Stoffwechselerkrankung, zu deren Risikofaktoren schlechte Ernährung, Übergewicht und höheres Alter zählen. Wie bei dieser Prothese hier, für eine 70-jährige Frau. Nur ein Viertel der Kunden hat ein Körperteil durch einen Unfall oder eben, selten, durch eine Kriegseinwirkung verloren.
Ihre Kunden sind also meistens wohlhabend?
Ein Fünftel von ihnen würde ich zur Oberschicht zählen, ein weiteres knappes Drittel zur oberen Mittelschicht und die verbliebene Hälfte zur Mittelklasse und darunter. Eine Prothese kostet 1.000 bis 10.000 Euro, und die meisten Nigerianer können sich diese teure Option nicht leisten.
Krankenversicherungen kommen dafür nicht auf?
In Nigeria gibt es zwar Krankenversicherungen, aber die decken überwiegend nur die Grundversorgung ab. Die meisten Patienten zahlen für Gesundheitsleistungen selbst. Versicherungen haben die Versorgung mit Prothesen kaum in ihrer Police; diese Fälle kann ich an einer Hand abzählen. Die beiden Kinder im Warteraum da draußen kommen tatsächlich aus ärmeren Schichten. Sie haben eine Bank als Sponsor gefunden.
Qualität und Know-how-Transfer sind gefragt
Wie läuft Ihr Geschäft?
Wir wachsen jedes Jahr. Nur die Coronapandemie sorgte wegen der stagnierenden Wirtschaft für eine Abflachung. Mittlerweile läuft es aber auch bei uns wieder, die Leute sind wieder optimistischer. Wir betreiben das Geschäft auf eigene Rechnung, importieren also von Ottobock Teile sowie spezielle Maschinen, um daraus Prothesen zu fertigen und sie zu verkaufen. Aus Deutschland stammt auch unser Know-how, das wir hier in Trainings den Patienten und Behandlern vermitteln.
Haben Sie keine Konkurrenz?
Meine größte Konkurrenz ist die Behandlung im Ausland. Bevor ich mit Ottobock im Jahr 2014 an den Start ging, gab es in Nigeria keine hochwertigen Prothesen. Wer das Geld hatte, ging also notgedrungen ins Ausland. Die Mittelklasse nach Indien, die Oberklasse nach Europa oder in die USA. Unsere Kunden kommen häufig wegen einer zweiten Prothese zu uns. Die erste hatten sie sich im Ausland machen lassen, was natürlich nicht optimal ist: Für Vermessung, Anpassung und Nachbetreuung muss man ja häufig und teils über längere Zeiträume in Behandlung gehen. Mit unserem Service können die Leute das nun von zu Hause aus im gewohnten Umfeld erledigen.
Fertigt in Nigeria niemand sonst Prothesen an?
Doch, Marktzahlen habe ich allerdings leider keine. Es gibt drei öffentliche Krankenhäuser, die einen solchen Service ebenfalls anbieten, seit etwa fünfzig Jahren. Sie sind unsere Kunden und stehen so für etwa 15 Prozent unseres Umsatzes: Die Krankenhäuser kaufen bei uns Teile und Material von Ottobock und fertigen daraus Prothesen für ihre Patienten. Deren Zahl dürfte inzwischen in die Zehntausende gehen. Die drei Hospitäler befinden sich hier in Lagos sowie in Enugu im Süden und in Kano im Norden, weshalb wir in diesen Städten auch unsere drei Niederlassungen haben. Die restlichen Umsätze machen wir mit anderen Großkunden und eigenen Patienten.
Prothesen sind alles andere als Massenprodukte
Bieten diese Krankenhäuser nicht auch Prothesen anderer Hersteller an?
Ja, etwa von Lieferanten aus Frankreich, Indien oder China. Prothesen mit Teilen aus asiatischen Ländern oder Osteuropa sind 30 bis 50 Prozent billiger als unsere. Sie sind aber auch nicht so gut, weil sie sich weniger komfortabel tragen lassen oder schlechter passen. Neben den Krankenhäusern und privaten Anbietern gibt es in Nigeria auch unabhängige orthopädische Werkstätten, die in Gebrauch befindliche Prothesen reparieren.
Sie arbeiten mit Regierungskrankenhäusern. Haben Sie da viel mit Korruption zu tun?
Das ist glücklicherweise kein Thema für uns. Das beliebte Spiel mit aufgeblähten Lieferungen - ich verkaufe dir zehn Kartons Mullbinden, liefere sechs und den Gewinn teilen wir uns - funktioniert bei Prothesen nicht. Sie sind das Gegenteil von Massenprodukten, die man anonym verbraucht oder auch nicht. Jede Prothese ist individuell angepasst und bekommt eine Nummer. Wir kennen aus Datenschutzgründen nicht den Namen des Krankenhauspatienten, verfügen aber logischerweise über sehr detaillierte Angaben zu Abmessungen von Körperteilen. So eine Prothese kann man nicht einfach "verschwinden" lassen.
Das Interview führte Ulrich Binkert von Germany Trade & Invest im August 2023.
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