Büro von netspice in Port Harcourt

Netspice ist ein dynamisches Softwareunternehmen aus Nordrhein-Westfalen, das auf den IT-Fachkräftemangel in Deutschland mit einer Outsourcing-Strategie nach Nigeria reagiert. Von Port Harcourt aus, der fünfgrößten Stadt Nigerias, entwickelt ein 70-köpfiges IT-Team Softwaresysteme vorwiegend für deutsche mittelständische Unternehmen und Start-ups. Im Interview erklärt Alexander U. Ritter, Managing Partner der Netspice GmbH, wie die Idee eines Standortes in Nigeria aufkam, wie das Recruiting funktioniert und warum sich Nigeria als die richtige Wahl für das Unternehmen erwiesen hat.

Nigeria-Expansion: erstes Büro mit 40.000 Euro eröffnet

Alexander U. Ritter, Managing Partner, netspice GmbH & Co. KG netspice GmbH & Co. KG Alexander U. Ritter, Managing Partner, netspice GmbH & Co. KG

Herr Ritter, wie sind Sie mit Ihrem Unternehmen nach Nigeria gekommen?

Netspice entstand während meines Masterstudiums an der Universität Witten/Herdecke. Gleich im ersten Semester haben mein Geschäftspartner Guido Sicken und ich ein Netzwerk gegründet, das anfangs auf digitales Marketing fokussiert war. Ab etwa 2020 verlagerten wir unseren Schwerpunkt auf IT-Dienstleistungen.

Dieser Fokuswechsel ergab sich nicht zuletzt durch unseren ehemaligen Werkstudenten, der nun auch Partner ist. Bodé Osaru, ein Nigerianer, hat sein MBA-Studium in Russland absolviert und in Deutschland Berufserfahrung gesammelt, eben auch bei uns. Er wies uns darauf hin, dass in Nigeria hochqualifizierte Entwickler keinen gut bezahlten Job finden können, während in Deutschland ein großer Bedarf an IT-Fachkräften besteht. Seine Beobachtung hat uns dazu inspiriert, diese Probleme anzugehen und eine Brücke zwischen beiden Ländern zu schlagen. 

Was waren Ihre ersten Schritte bei der Expansion nach Nigeria? 

Im Jahr 2020 beschlossen wir, Bodé Osaru mit einem Budget von etwa 40.000 Euro nach Nigeria zu schicken, um unser erstes Büro aufzubauen. Einen vertrauenswürdigen Geschäftspartner mit Ort- und Kulturkenntnis vor Ort zu haben, hat für uns den gesamten Prozess vereinfacht und das Risiko reduziert. Zuerst wählten wir Lagos, entschieden uns dann aber aufgrund des Preis-Leistungs-Verhältnisses und anderer Faktoren für Port Harcourt. Dort fanden wir eine gute Infrastruktur und talentierte Arbeitskräfte zu günstigeren Kosten als in Lagos. 

Wie haben Sie den Betrieb aufgenommen?

Wir haben eine nigerianische Limited (Ltd.) gegründet, um rechtlich abgesichert zu sein. Dann mieteten wir Büroflächen an, besorgten die erforderliche Ausstattung und stellten die ersten zehn Mitarbeiter ein. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir bereits Kundenanfragen für App-Entwicklungen, sodass wir unsere neuen Mitarbeiter direkt in diese Projekte einbinden konnten.  Aktuell beschäftigen wir in Nigeria 80 Mitarbeiter, darunter 70 Softwareentwickler und zehn in administrativen Back-Office-Funktionen. Zudem nutzen wir mittlerweile Solarenergie und haben Starlink-Systeme installiert, um eine zuverlässige Internetverbindung sicherzustellen. 

IT-Infrastruktur und Talentpool als Standortvorteile

Hatten Sie auch andere afrikanische Länder im Blick?

Ja, natürlich. Kenia und Äthiopien waren definitiv auch in unseren Überlegungen. Nigeria bot sich jedoch durch unseren Mitarbeiter als vielversprechender Markt an. Wir sind fest davon überzeugt, dass lokale Partner entscheidend für den Erfolg in jedem Land sind, da sie das Geschäftsumfeld kennen und über ein gutes Netzwerk verfügen. Nüchtern betrachtet hat Nigeria auch das größte Potenzial im Bereich Informationstechnologie (IT) in Afrika. Es verfügt über eine ausgezeichnete IT-Infrastruktur mit 25 Serverzentren, den größten Talentpool und einige der besten Universitäten des Kontinents im Bereich IT. Hinzu kommt, dass Nigeria in einer ähnlichen Zeitzone wie Deutschland liegt und die steuerliche Situation im Vergleich zu anderen afrikanischen Ländern günstiger ist.

Wer sind Ihre Kunden?

Größtenteils mittelständische Unternehmen und Start-ups. Zum Beispiel arbeiten wir seit mehreren Jahren eng mit einem Kunden aus dem Bereich Zahnmedizin zusammen. Wir unterstützen ihn in verschiedenen Projekten, wie der Entwicklung eines B2B-Portals, der Modernisierung seines CRM-Systems und der Implementierung eines neuen Buchungssystems für Termine. Ebenfalls stolz sind wir auf ein Portal für ein Pyrotechnikunternehmen. Es war ein anspruchsvolles Projekt mit Händlersuche und Filterfunktionen, das Ergebnis übertraf sogar unsere Erwartungen. Es zeigt, dass internationale Top-Qualität im IT-Bereich in Afrika umgesetzt werden kann, wenn die richtigen Strukturen und Strategien vorhanden sind.

Recruiting läuft auch über Social-Media-Kanäle 

Wie finden Sie Ihre Mitarbeiter vor Ort?

Wir nutzen verschiedene Wege, um Talente zu finden. Wir haben starke Verbindungen zu den Universitäten und sind in den IT-Communities in Nigeria präsent - vor allem über Plattformen wie Telegram, Twitter und GitHub. Wenn wir neue Projekte haben, verbreiten wir unsere Stellenausschreibungen über diese Kanäle und erhalten in der Regel eine Vielzahl von Bewerbungen. Die Herausforderung liegt dann eher in der Auswahl der am besten geeigneten Kandidaten. 

Wie gehen Sie bei der Auswahl der Fachkräfte vor?

Wir haben mittlerweile einen Talentpool mit mehr als 3.000 Profilen von Entwicklern, die Erfahrungen von drei bis zehn Jahren mitbringen, meist mit Universitätsabschluss. Unser Recruiting-Team stuft etwa zehn von 100 Bewerbungen als besonders vielversprechend ein. Diese Kandidaten durchlaufen dann einen dreistufigen Auswahlprozess, der ein Interview, ein technisches Interview und einen Coding-Test umfasst. Anhand dieser Tests können wir genau prüfen, ob die Bewerber die erforderlichen Fähigkeiten und Qualifikationen mitbringen.

Wissensaustausch in beide Richtungen

Wie gut funktioniert die standortübergreifende Zusammenarbeit?

Ein Großteil unsers Teams ist in Nigeria ansässig, während in Deutschland ein kleineres Team von fünf Personen hauptsächlich für die Kundenakquise und Projektmanagement zuständig ist. Wir legen viel Wert darauf, dass der Austausch in beide Richtungen stattfindet. Eine Herausforderung besteht darin, ein gemeinsames Framework zu etablieren und internationale Qualitätsstandards zu setzen. Deswegen organisieren wir regelmäßig interne Workshops zu Themen wie KI-Systeme, Debugging, Projektmanagement und UX-Design. Dadurch stellen wir sicher, dass unsere Mitarbeiter ihre Fähigkeiten kontinuierlich verbessern und mit relevanten Themen weiterentwickeln können. 

Müssen Sie nicht oft nach Nigeria reisen, um zu überprüfen, dass alles läuft?

Etwa ein- bis zweimal im Jahr reise ich nach Nigeria. Dann nehme ich mir Zeit, um unsere Büros zu besuchen, neue Mitarbeiter kennenzulernen und an Networking-Veranstaltungen teilzunehmen. Oft sind das Events von der Deutschen Auslandshandelskammer und anderen Organisationen, die Netzwerkmöglichkeiten in der Tech-Branche bieten, sowie Treffen mit internationalen Unternehmern vor Ort. Außerdem führe ich Gespräche mit Universitäten und bespreche mich mit unserem Country Manager.

Mit welchen Herausforderungen haben Sie zu tun?

Manche Unternehmen versuchen, unsere Mitarbeiter abzuwerben. Die Konkurrenz im IT-Bereich ist groß: Unternehmen wie Alphabet, Meta und Amazon konkurrieren alle um die Top-Talente. Hinzu kommt das Risiko politischer Instabilität. Afrikanische Märkte sind äußerst heterogen und mit Herausforderungen verbunden, die von außen betrachtet nicht immer vorhersehbar sind. Im Gegensatz zur EU gibt es dort nicht die gleiche Planungssicherheit. Obwohl wir bisher davon verschont geblieben sind, erkennen wir die potenziellen Risiken und hoffen, dass sie sich nicht nachhaltig auf unser Geschäft auswirken. 

Afrika-Investitionen: klar definierte Ziele und vertrauenswürdige Partner

Neben Ihrem Partner in Nigeria, wie haben Sie Unterstützung beim Markteintritt in Nigeria erhalten?

Über Tara Méité, die alle afrikanischen Auslandshandelskammern in Deutschland repräsentiert, haben wir Kontakt zu Timo Pleyer aufgebaut, dem Delegierten der deutschen Wirtschaft in Nigeria. Er informiert uns über wichtige Networking-Veranstaltungen und unterstützt uns bei Fragen zur Zusammenarbeit vor Ort. Wir nehmen auch regelmäßig an deutschen und internationalen Fachmessen teil, insbesondere im IT-Bereich. Auch die Teilnahme an deutschen Gemeinschaftsständen auf Fachmessen vor Ort hat sich als nützlich erwiesen.

Was sind Ihre Tipps für Unternehmen, die über einen Markteintritt in Afrika nachdenken?

Sich klar darüber zu werden, welche Ziele sie in Afrika verfolgen möchten. Dies beinhaltet die Identifizierung des Geschäftsbereichs und der potenziellen Vorteile, die ein Standort in Afrika bieten könnte. Eine sorgfältige Planung und Vorbereitung sind entscheidend. Ich empfehle auch, mit Experten zu sprechen, die bereits Erfahrung mit Investitionen in Afrika haben. Wenn Sie sich dann entscheiden, in Afrika zu investieren, ist es unerlässlich, vertrauenswürdige afrikanische Partner zu haben. Ohne solche Partner wird es sehr schwierig sein, auf den Märkten Fuß zu fassen. Ihre Partner sollten den lokalen Markt gut kennen, sowohl die Nachfrage- als auch die Angebotssituation verstehen und mit der lokalen wie internationalen Geschäftskultur vertraut sein. 

Das Interview führte Lisa Sidorova vom IHK-Netzwerkbüro Afrika (INA) im März 2024.

Weitere Informationen

Erfahrungsberichte zur Aus- und Weiterbildung in Afrika

Software aus Kamerun: IT-Firma mit Preisvorteil und eigener Ausbildung

Das Nürnberger Unternehmen adorsys lässt in Kamerun Software entwickeln. Das erlaubt Preisarbitrage bei hoher Qualität und Sicherheit, sagt der Gründer Francis Pouatcha.

Von Gründern für Gründer: Start-ups in Äthiopien

Äthiopien hat unter ausländischen Investoren einen eher zweifelhaften Ruf. Auch Start-ups tun sich schwer mit dem rigiden Geschäftsumfeld in dem ostafrikanischen Land.

Verantwortungsvoll: Modeproduktion in Tunesien

Ghazi El Biche ist Geschäftsführer der tunesischen Tochterfirma von Van Laack. Im Interview verrät er, wie er das Betriebsklima verändert hat.

Ostafrika: Mit Start-ups und sozialen Projekten Fuß fassen

StartHub Africa bietet in Uganda, Tansania und Kenia Entrepreneurship-Programme für Studierende an. Außerdem berät StartHub Africa Unternehmen und entwickelt neue Produkte.

Vorausgedacht: Kunststoffteile für den Maschinenbau in Afrika

Im Maschinenbau ist Afrika ein fast unbeschriebenes Blatt. Trotzdem investiert ein deutscher Zulieferer jetzt in ein Projektteam in Kenia.

Chapter54: Deutsche Tech-Start-ups auf dem Weg nach Afrika

Das Accelerator-Programm Chapter54 hilft europäischen Start-ups beim Einstieg in afrikanische Märkte. Auch Unternehmen aus Deutschland haben das Angebot bereits genutzt.

Grün: Nachhaltiger Kräuteranbau in Südafrika für deutschen Markt

Peter Grundhöfer setzt auf Kräuteranbau nach europäischen Standards in Südafrika. Wichtig dabei: die Zusammenarbeit mit einem lokalen Partner und Schulungsprogramme.

Duales System aus Deutschland für berufliche Bildung in Marokko

Das Kompetenzzentrum Berufsbildung der AHK Marokko unterstützt bei der Einführung von Ausbildungsgängen nach dem deutschen Dualen System.

IT-Standortwandel: Kunden in Deutschland, Fachkräfte in Südafrika

Aus Personalmangel gründete die IT-Firma Assco eine Niederlassung in Südafrika. Die gemischten Teams arbeiten eng zusammen - und gewinnen neue internationale Kunden.

Praxisnah lernen: Duale Ausbildung in Afrika nach deutschem Standard

Die weltweite Beliebtheit der deutschen dualen Ausbildung wächst, auch in Afrika. Christiani plant einen Hub in Südafrika für maßgeschneiderte Ausbildungslösungen.

Verkehr auf grün: Deutsche Software für Elektrobusse in Afrika

Intelligentes Lademanagement für die erste Elektrobusflotte Afrikas - das Softwareunternehmen CarMedialab berichtet von seinen Erfahrungen beim Markteintritt.