Schulklasse von angehenden Softwareentwicklern in Kamerun

Zukünftige Softwareentwickler in einer Schulklasse in Kamerun

Das Nürnberger Unternehmen adorsys lässt Informatiker in Kamerun Software entwickeln oder betreuen. „Eine international verteilte Plattform für Softwareentwicklung erlaubt Preisarbitrage bei hoher Qualität und Sicherheit“ – das sagt im Interview der Firmengründer und gebürtige Kameruner Francis Pouatcha, der längst deutscher Staatsbürger ist. Ein erster Versuch des IT-Outsourcing nach Kamerun war allerdings nur teilweise erfolgreich gewesen.

100 bis 200 Euro Tagessatz für einen Softwareentwickler – Ihre Kunden in Deutschland fallen Ihnen um den Hals, Herr Pouatcha?

Francis Pouatcha, Gründer und Miteigentümer von adorsys adorsys Francis Pouatcha, Gründer und Miteigentümer von adorsys

Für einige Fälle kann man das sicherlich so sagen. Bei einem deutschen Informatiker bewegen sich die Tagessätze zwischen 600 und 1.000 Euro. In Polen oder Rumänien liegen sie bei etwas mehr als der Hälfte bis hin zu drei Vierteln davon. In Indien liegt man ebenfalls deutlich oberhalb von den Tagessätzen für Kamerun. Für uns ist unsere Einheit in Kamerun eine Investition in die Zukunft. Wir glauben, dass der aufstrebende Kontinent Afrika eine wesentliche Rolle spielen und schrittweise in direkte Konkurrenz mit anderen etablierten Offshore-Anbietern wie Indien gehen wird. 

Und Ihre Kunden haben keine Bedenken, wenn sie von Informatikern irgendwo in Afrika abhängen?

Zumindest einige davon nicht. Unsere Mitarbeiter in Kamerun liefern nach schätzungsweise zwei Jahren Berufserfahrung die gleiche Qualität ab wie Kollegen in Deutschland, als Teil einer internationalen Gruppe mit deutschen Projektstandards. In Indien muss man mit deutlich mehr Personal rechnen, weil die Fluktuation dort hoch ist und die Qualität nicht immer stimmt. Osteuropa ist zwar auf Top-Level, gleicht sich aber zunehmend an das deutsche Lohnniveau an. Daher bieten wir gerne gemischt internationale Teams an, je nachdem, welcher Rollen- und Skill-Mix für unsere Kunden am besten passt. 

Ukraine-Krieg führt zu Strategiewechsel

Die niedrigen Kosten waren also der Hauptgrund für Ihren Gang nach Kamerun?

Ja, genauer die erforderliche Kostenflexibilität für unser IT Portfolio und der perspektivisch zunehmende Fachkräftemangel. Aber es gab auch einen direkten Auslöser, den Ukraine-Krieg. Wir hatten einen Sourcing-Partner in Kiew, dessen Firmenkonstellation sich leider aufgrund der Umstände geändert hat. Daher brauchten wir schnell Personal, das wir speziell für diese Aufgaben trainieren und einsetzen konnten. In Kamerun gibt es viele Informatiker mit Hochschulabschluss.

 

Francis Pouatcha kam 1996 nach Deutschland und machte vier Jahre später seinen Abschluss als Wirtschaftsinformatiker an der Universität Nürnberg. 2002 gründete er die Firma adorsys, an der er noch heute gut ein Viertel der Anteile hält. Die aktuell rund 200 Mitarbeiter in Deutschland, Irland, Rumänien und Kamerun entwickeln im Schwerpunkt Software für Finanzdienstleister, Payment Services, FinTechs oder andere Startups. Wichtige Kunden sind die genossenschaftlichen Teilhaber der adorsys und der Steuer- und Wirtschaftsprüfer Datev. Lange Jahre pendelte der heute 52-jährige Pouatcha in die USA, wo seine Familie weiterhin lebt. Seit April 2023 ist die adorsys in seinem Heimatland der Arbeitgeber von bis zu 50 IT-Spezialisten und -Auszubildenden.

Sie bilden Ihre eigenen Informatiker aus?

Genau. Nach unserem Start in Kamerun im April 2023 schloss im August 2024 unser erster Ausbildungsjahrgang mit 23 Schülern ab. Wir stellen dafür Abiturienten ein, 17- bis 20-Jährige also, die direkt nach der Schule zu uns kommen. Sie müssen dafür exzellente Mathematik-Noten haben und sehr gut Englisch können. Die Ausbildung ist anspruchsvoll – Start morgens um 7.30 Uhr, sechs Tage die Woche, bei zweimaligem Nichtbestehen einer Prüfung trennen wir uns von einem Schüler. Trotzdem musste uns noch keiner wegen dieser hohen Anforderungen verlassen. Die Schüler sind Feuer und Flamme für ihren Einstieg in eine IT-Karriere.

Abiturienten bringen, ohne vorherigen Uniabschluss, die Voraussetzung für einen Job als Softwareentwickler mit?

Ja. Schulbildung hat einen sehr hohen Stellenwert in Kamerun. Man sieht praktisch keine Jugendlichen, die sich planlos in den Straßen die Zeit vertreiben. Das Schulwesen ist vielleicht das, was sich seit der Unabhängigkeit Kameruns am meisten verbessert hat im Land. Die Schüler lernen Mathematik immer noch von Hand und ohne Taschenrechner. Sie können den Verlauf einer Kurve noch erklären. Anders als meine Kinder in den USA, die dafür das Internet bemühen. In Deutschland hat ja jeder etwas ältere Schüler ein Smartphone, in Kamerun vielleicht jeder zehnte. 

Woher nehmen Sie die Trainer für Ihre Ausbildung?

Wir haben die Ausbildungsprogramme in Deutschland entwickelt. Jetzt unterrichten länger gediente Kollegen aus Kamerun hier die neuen Juniors. Meist können jedoch auch Standard-Online-Trainings eingesetzt werden für Programmiersprachen, Cloud-Technologien, Methoden des Software Engineering etc.

Der Staat hält sich raus aus der Ausbildung?

Aktuell ja, wir organisieren das selbst. Aber natürlich mit den gängigen Lehrmaterialien, und nach dem einen Jahr haben die Schüler vier Zertifikate, die für Softwareentwickler international anerkannt sind. Die ersten drei Monate zum Beispiel trainieren und zertifizieren sie Ihre Grundkenntnisse in Linux.

Ihre IT-Fachleute könnten weltweit begehrt sein. Werden nicht einige abwandern? 

Die Gefahr ist tatsächlich da. Kanada lockt mit besten Bedingungen und ist ebenfalls zweisprachig mit Englisch und Französisch, genau wie Kamerun. Wir bezahlen für kamerunische Verhältnisse deshalb sehr gut. Direkt nach der Ausbildung gibt es monatlich knapp 400 Euro, mit jährlichen Anpassungen aufgrund von Skill-Entwicklungen und Projekterfahrungen und -erfolgen. Entscheidend ist aber unsere gute Lage. 

Firmensitz überrascht

Ihre Firma residiert in einem schicken Loft hier in der Hauptstadt Yaoundé?

Sicher nicht. Wir sind in Bangangte, einer Stadt mit rund 30.000 Einwohnern im Westen. Die Straßenanbindung ist gut, aber man braucht von der Hauptstadt und auch der Hafen- und Wirtschaftsmetropole Douala schon um die vier Stunden dorthin. Es stimmt, in Douala gibt es einen großen IT-Fachkräftepool. Tatsächlich hatten wir dort zwischen 2011 und 2016 schon einmal bis zu einem Dutzend Leute aufgebaut.

Damit fielen Sie aber auf die Nase?

Damals ja, weil der Strom und damit das Internet immer wieder ausfiel. Spätestens nach dem vierten Mal springen Ihnen da die Kunden ab. Und die Kollegen waren einfach nur müde, wenn sie sich morgens zweieinhalb Stunden auf dem Moped zu uns quälen mussten und abends wieder zurück. Weil sie sich die Mieten in Douala selbst nicht leisten konnten. 

Aber bei Ihnen auf dem Land ist das Internet jetzt stabil?

Ja, der Netzstrom fällt zwar nach wie vor immer wieder aus, in Douala und auf dem Land noch häufiger. Aber dort wie auch in den Städten haben Unternehmen jetzt durchweg eigene Solarzellen und Batteriespeicher. In Bangangte können unsere Schüler und Mitarbeiter zu Fuß ins Office kommen. Das Leben ist billig und das Klima angenehm auf 1.300 Metern Meereshöhe. 

Können Sie Softwareentwickler denn für eine staubige Kleinstadt begeistern?

Wir können maximal 20 Ausbildungsplätze besetzen und dies auf LinkedIn und Jobportalen inserieren. Damit können wir dann unter 300 hochqualifizierten Schülern aus ganz Kamerun auswählen. Wir laden davon die besten zum Interview ein. Wir bezahlen den ausgewählten Schülern Kost und Logis in zwei angemieteten Häusern sowie eine Krankenversicherung. Sie mischen sich mit den Studenten der privaten Université de Montagnes, die es in Bangangte gibt. Es entstehen Freundschaften und sogar Lebenspartnerschaften. Unsere Mitarbeiter gehören zu den Bestverdienern der Stadt. Da wollen natürlich viele am Ort und nahe bei Ihren Verwandten bleiben.

Arbeiten neben den 20 Schülern denn auch „gestandene“ IT-Fachkräfte bei Ihnen?

Ja, derzeit circa 30. Zukünftig können wir Nachwuchs auch durch eine Art duale Hochschulausbildung wie in Deutschland gewinnen. Wir besprechen hierzu eine mögliche Kooperation mit der örtlichen Hochschule. Die gilt als eine der besten Medizinfakultäten im Land, bildet aber auch technische Ingenieure aus. 

Die politischen Spannungen in Kamerun sind für Sie kein Thema?

Ausländische Diplomaten geben sich tatsächlich besorgt. Sie verweisen etwa auf Benachteiligungen der anglofonen Minderheit. Wir als IT-Firma rekrutieren aus dieser Bevölkerungsgruppe allerdings zwei Drittel unserer Schüler. Diese können nicht nur Englisch, sondern sind auch besonders motiviert und engagiert.

Weitere Informationen 

Das Interview führte Ulrich Binkert von Germany Trade & Invest im November 2024.

 

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