Produktionsanlage von infoAid

Nordafrika ist bei der Beschaffung von Bekleidung zwar in den Fokus von deutschen Einkäufern gerückt, die meisten Lieferungen werden aber weiterhin aus Ost- und Südasien kommen. Sven Eriskat von der Außenwirtschaftsberatung infoAid erklärt im Interview, wo die Produktionsstandorte Marokko und Tunesien mit China und Bangladesch nicht mithalten können. Und er berichtet über Herausforderungen bei Zertifizierungen.

Asien bleibt dominante Lieferquelle für Bekleidung

Herr Eriskat, wird Nordafrika einmal Asien als unseren Hauptlieferanten für Bekleidung ersetzen?

Diese Erwartung wäre völlig naiv. Der deutsche Bekleidungsmarkt – fast alles sind Importe – umfasst im Einzelhandel ein Volumen von rund 70 Milliarden Euro. Nordafrikas Anteil ist mit unter 1,5 Milliarden Euro Importwert immer noch klein. Insgesamt fehlen der Branche dort einfach die nötigen Strukturen, um Produktionsvolumen aufzufangen, das aus Asien verlagert werden könnte. In Tunesien und Marokko gibt es zudem nur eine begrenzte Anzahl von Zulieferern beziehungsweise Vorprodukten. Die Hersteller müssen deshalb die Stoffe und Zutaten weitestgehend importieren.

Asien bleibt also Deutschlands größter Lieferant von Bekleidung?

Ja. Alleine die deutschen Importe aus China erreichten letztes Jahr erstmals mehr als 10 Milliarden Euro. In China gibt es eine riesige, vollkommen vertikal integrierte Industrie, die alles produziert - in jeder erdenklichen Ausführung. Die Chinesen haben auch ein umfassendes Know-how und eine 24/7-Mentalität. Deutsche Unternehmen wiederum haben sich daran gewöhnt, dass die Ware sehr gut ist und stets zuverlässig in jeder gewünschten Menge geliefert wird. Für Hersteller aus anderen Ländern ist der Wettbewerbsvorteil Chinas kaum zu überwinden, insbesondere im Segment der höheren Volumina. Ein weiterer Faktor hinter dem jüngsten Wachstum der chinesischen Lieferungen ist B2C. Da verkaufen Anbieter wie zum Beispiel Shein direkt an den europäischen Endkunden.

Ist China inzwischen nicht zu teuer?

Die Löhne dort sind inzwischen tatsächlich höher als in Nordafrika, aber die Chinesen sind eben ungemein effizient. Zudem lagern sie die lohnintensiven Jobs aus und haben in den letzten zehn Jahren strategisch investiert: NäherInnen in Kambodscha oder Myanmar fertigen häufig Kleidung aus chinesischen Stoffen, oft in chinesischen Betrieben. Hersteller vor allem aus Bangladesch, aber auch aus Indien, Vietnam, Kambodscha und anderen asiatischen Ländern wiederum produzieren günstiger als Nordafrika. Und sie haben nach wie vor hohe Kapazitäten.

Discounter lieben Bangladesch

Benachteiligt unser Trend zu Fast Fashion nicht die asiatischen Hersteller mit ihren langen Lieferzeiten?

Es gibt noch viele deutsche Anbieter – speziell im Discounterbereich –, die nicht von kurzen Lieferzeiten abhängig sind. Tatsächlich arbeiten viele solcher Unternehmen mit Planungshorizonten von neun bis zwölf Monaten. Der Preis ist hier entscheidend, aber eben auch die Zuverlässigkeit, dass die Ware pünktlich in der vereinbarten Qualität verfügbar ist. Eine etwas längere Lieferzeit fällt da nicht so ins Gewicht. In diesem Geschäft sind Länder wie Bangladesch unschlagbar.

Die deutsche Öffentlichkeit diskutiert Umwelt- und Sozialstandards der Branche. Gilt eine Beschaffung in Nordafrika, im Vergleich zu Asien, als "besser"?

Die Umwelt- und Sozialstandards halten in unserem Tätigkeitsbereich alle Produzenten ein, egal wo. Ein gewisser Vorteil von Marokko und Tunesien ist vielleicht die geringe Wertschöpfungstiefe. Es gibt also nicht so viele Vorstufen, die zu überwachen wären. Die Stoffe beziehen Tunesien und Marokko hauptsächlich aus der Türkei oder sogar Europa, aus Ländern also mit relativ hohen Standards. Außerdem verkleinern die relativ kurzen Lieferwege aus Tunesien oder Marokko natürlich den ökologischen Fußabdruck der Ware.

Haben alle Lieferanten die nötigen Zertifizierungen?

Natürlich sind nicht alle Hersteller in allen Ländern entsprechend zertifiziert, insbesondere wenn sie zwei große Märkte mit unterschiedlichen Anforderungen beliefern, also zum Beispiel den US-amerikanischen und daneben auch den EU-Markt. Genau deshalb gibt es ja erste Bemühungen, den Gang durch den "Siegel-Dschungel" durch Transparenz für die Hersteller zu vereinfachen.

Herausforderungen bei Labels und Zertifizierungen

Zertifizierungen sind also sehr wichtig?

Wenn wir oder unser Kunde einen potenziellen Auftragsfertiger unter die Lupe nehmen, ist die erste Frage immer: Haben Sie alle Zertifizierungen? Erst danach geht es um Qualität, Preise oder Lieferzeiten. Inzwischen gibt es eine ganze Industrie von Zertifizierungsfirmen, Beratern und Auditoren, die all die vielen Labels überprüfen und die sich bestimmt keinen Fehler nachweisen lassen wollen. Der Hersteller jedoch hat die Kosten und erstickt oft in der Papierflut. Internationale Branchenverbände versuchen, den Aufwand für die Hersteller zu minimieren: Es gibt die "Standard Convergence Initiative" der International Apparel Federation im Zusammenschluss mit der International Textile Manufacturing Federation.

Wie steht es mit den Unterlieferanten in Nordafrika mit seinem großen informellen Sektor, Stichwort Lieferkettensorgfalt?

Stickarbeiten und ähnliche Aufträge lagern die Hersteller tatsächlich teilweise aus. Die Auftragnehmer sind dann aber ebenfalls Industriefirmen und nicht etwa Familien, wo es dann gegebenenfalls auch zu kritischen Fragen wie zur Kinderarbeit kommen könnte. In der Branche und insbesondere herstellerseitig ist bei dem ganzen Thema eine gewisse Müdigkeit festzustellen. Heutzutage kann man davon ausgehen, dass die internationale Lieferkette den europäischen Nachhaltigkeitskriterien weitestgehend entspricht.

Das Interview führte Ulrich Binkert von Germany Trade & Invest im Mai 2023.

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