Ausbildung in einem Mühlwerk

Die Bühler Group nutzt in Kenia ihre "Milling School" zu Ausbildungszwecken und als Showroom.

Zwei Drittel des weltweit geernteten Weizens werden mit Technologien von Bühler verarbeitet. In Kenia stammen acht von zehn Kilogramm Mehl aus einer Mühle des Schweizer Unternehmens. Dessen Geschäft in Ostafrika ist dominiert durch die Herstellung von Grundnahrungsmitteln mit Weizen-, Mais- und Reismühlen. Gefragt ist aber auch die Verarbeitung von Hülsenfrüchten, Kaffee oder Futtermitteln.

Matthias Grabe verantwortet von Nairobi aus das Geschäft von Bühler in zehn Ländern Ostafrikas. Im Video-Interview schildert der Ostwestfale, wie man sich als Premium-Technologieanbieter in Afrika behaupten kann. Er hat auch eine Idee, wie sich deutsche Mittelständler dort einfacher etablieren könnten.

Kunden wollen die niedrigpreisige Produktlinie

Herr Grabe, wie gehen Sie in Ostafrika mit der Konkurrenz aus China oder der Türkei um?

Matthias Grabe, Geschäftsführer der kenianischen Niederlassung der Bühler Group Bühler Group / Paul Mathai Gachihi Matthias Grabe, Geschäftsführer der kenianischen Niederlassung der Bühler Group

Indem wir unser Angebot möglichst genau an den Bedürfnissen der Kunden ausrichten. Unsere African Milling School hier in Nairobi nutzen wir nicht nur zur Ausbildung, sondern auch als Showroom für unsere Produkte. Dort stehen zwei Waagen von Bühler – eine aus der Schweiz aus rostfreiem Stahl und eine aus China aus Baustahl. Die Schweizer Waage ist doppelt so teuer, sie ist aber im Betrieb billiger und hält vor allem länger. Diese Waagen sind in einer Mühle im Dauereinsatz. Wenn man die Abschreibung realistisch ansetzt, hat sich der höhere Preis in spätestens vier Jahren amortisiert.

Und welche Waage wollen Ihre Kunden?

Die mit dem kleineren Preisschild. So ist das inzwischen praktisch in unserem gesamten Neugeschäft in Ostafrika. Bei Farbsortierern zum Beispiel, die beim Reis die verfärbten Körner mit Luftdüsen innerhalb Sekundenbruchteilen aussortieren, sind wir Weltmarktführer. In Ostafrika können sich viele Lebens- und Futtermittelproduzenten unsere Top-Produkte nicht leisten. Deshalb haben wir inzwischen einfachere und günstigere Produkte entwickelt, um abseits des Premiummarktes konkurrenzfähig zu bleiben.

Manche Märkte verlangen per se keine Hightech-Anlagen; wie sind Sie da aufgestellt?

Ein Beispiel dafür ist Kaffee. Für die Verarbeitung dieses wichtigen ostafrikanischen Anbauproduktes liefern wir Rösttechnologien. Den Markt bestimmen europäische Anbieter mit hochwertiger Technik. Ostafrikanischer Kaffee wird aber leider noch immer meist in Deutschland, der Schweiz oder anderen Verbraucherländern geröstet. Äthiopien etwa produziert und exportiert fast nur „grünen“ Kaffee, die Bohnen sind also lediglich geschält, gereinigt und sortiert. Die Maschinen für diese Arbeitsschritte – wesentlicher Technikmarkt in dieser Branche – kommen heute häufig aus Ländern wie Brasilien. Bis vor 30 Jahren hatten wir ebenfalls solche Anlagen verkauft. Die laufen immer noch super, sagen uns langjährige Kunden. Sie bestürmten uns fast, in diesem Bereich doch wieder etwas anzubieten. Das haben wir jetzt umgesetzt und haben wieder komplette Kaffeeverarbeitungsanlagen im Angebot, „from field to cup“. Damit sind wir sehr wettbewerbsfähig.

Mais-Entkeimer speziell für Kenia entwickelt

Entwickeln Sie auch Modelle eigens für diese preissensiblen Märkte?

Ja. Bei einem Kunden in Kenia installieren wir gerade Mais-Entkeimer, deren Technologie wir in einjährigen Versuchen hier in Nairobi entwickelt haben. Die Ansprüche an Maismehl sind von Region zu Region und in Ostafrika sogar von Land zu Land verschieden. In Kenia ist Maismehl eher dunkel und grob, vermahlen mit hohen Ausbeuten. Im benachbarten Uganda muss es fein und weiß sein. Entsprechend brauchen die Hersteller unterschiedliche Technologien. Unsere ostafrikanischen Kunden sind begeistert, dass wir ihnen etwas wirklich Passgenaues bieten können. Mein Kollege von Bühler in Südafrika bietet diese Lösung für seinen Markt nicht an, weil der Bedarf dort wieder ein anderer ist.

Sie nutzen einheimisches Know-how, um damit besonders nah am Kunden zu sein?

Eine Mais-Entkeimung speziell für Kenia lässt sich kaum in der Schweiz entwickeln, sondern muss vor Ort für den Markt gestaltet werden. Für afrikanische Märkte hat es auch Vorteile, das Design einer Anlage etwa in Indien zu erstellen. Die Kolleginnen und Kollegen dort sind näher dran an der afrikanischen Realität, was Technik, Mentalität und das Verständnis für marktkonforme Lösungen betrifft. Dies gilt auch, weil indischstämmige Geschäftsleute in Ostafrika im Lebensmittelsektor eine wichtige Rolle spielen. Davon abgesehen ist es eine Kostenfrage. Die Maschinen und Komponenten aber, die wir in einer Anlage verbauen, entwickeln wir nach wie vor weitgehend in der Schweiz oder in Deutschland.

Europäisches Servicepersonal – viel zu teuer

Erbringen Sie den Kundendienst ausschließlich mit lokalen Mitarbeitern?

Die Zeiten, in denen der Monteur aus Europa die Anlage in Ostafrika installiert oder wartet, sind lange vorbei. Das wäre viel zu teuer. Kaum jemand zahlt hier schweizerische oder deutsche Stundensätze und Spesen. Früher wollten Kunden oft noch einen Europäer sehen. Heute möchten wir alle Dienstleistungen mit unserem lokalen Personal erbringen, das gilt auch für den Service und den Verkauf. Es zählt die Nähe zum Kunden. In unserer fünfzigköpfigen Niederlassung in Nairobi bin ich fast der einzige Europäer und arbeite daran, mich quasi selbst abzuschaffen. Unsere lokalen Servicetechniker und Verkäufer sind hochqualifiziert. Wir haben diese Talente in unseren eigenen Trainingseinrichtungen über Jahre entwickelt. Sie sind genauso kompetent wie unsere europäischen Mitarbeitenden und genießen großen Respekt im Markt. Unsere Kunden kaufen Bühler, und wir garantieren weltweit die gleiche Qualität. Das gilt unabhängig davon, wo wir Lösungen herstellen oder von wo wir Services erbringen.

Sie investieren viel in die Ausbildung Ihres Personals – haben Sie keine Probleme mit Fluktuation?

Bei uns sind Wechsel sehr selten. Wir bieten unseren Mitarbeitenden sehr gute Konditionen und Möglichkeiten zur Weiterentwicklung. Aktuell beispielsweise wechselt eine unserer Mitarbeiterinnen, die hier in Nairobi für die Ausarbeitung von Angeboten verantwortlich war, in die Schweiz, um dort an einem weltweiten Management-Traineeprogramm teilzunehmen. Mitarbeitende, die kündigen, kommen oft nach einigen Jahren wieder zurück. Aber es stimmt, gut ausgebildetes Personal ist in Ostafrika rar und begehrt. Den Absolventinnen und Absolventen unserer African Milling School überreichen wir nach bestandener Prüfung ein Diplom. Manche Kunden bitten uns, dieses Zeugnis direkt nach der Verleihung wieder an den Arbeitgeber zurückzuschicken. Sie übergeben es den Absolventen selbst erst nach einigen Jahren. So wollen sie vermeiden, dass die Mitarbeitenden sich direkt woanders bewerben.

Was können deutsche Mittelständler tun, um erfolgreich in den Markt zu kommen?

Sie können vor allem viel mehr kooperieren. Kurz nach Ausbruch von Corona erzählte mir mein Kollege in Malmö von einem Anlagenbauer in seinem Umfeld. Der sollte in Kenia eine kleine Fabrik mit Verfahrenstechnik einrichten, nur flog ja kein Flugzeug mehr und sie konnten kein Personal delegieren. Wir sind aber mit einer verwandten Technik unterwegs und sitzen mit einem sehr starken Team direkt vor Ort. Also übernahmen wir den Auftrag, verdienten gutes Geld, und Kunde wie Lieferant waren glücklich. Umgekehrt überlegen wir mit Blick auf unsere geplante Niederlassung in Äthiopien, ob wir für den Aufbau mit einem deutschen Hersteller von Abfülltechnik zusammenarbeiten, der dort bereits etabliert ist. Warum soll nicht der Angestellte der einen Firma den Job für die andere übernehmen, gerade beim Einstieg in einen neuen Markt und teuren Reisen dorthin?

Deutsche Firmen könnten viel mehr kooperieren

Haben Sie weitere Beispiele für solche Kooperationen?

Bühler ist in Ostafrika auch Agent für die Duisburger Firma Brabender, die Laborgeräte im Lebensmittelbereich herstellt. Wir decken für sie Vertrieb und Service mit ab. Bei dem kleinen Markt würde sich das für Brabender selbst nicht lohnen. Wir haben die gleiche Kundenbasis, aber keine Wettbewerbssituation. In unserer African Milling School bilden wir auch Studierende vom ganzen Kontinent aus – an Laborgeräten, die uns Brabender zur Verfügung gestellt hat.

Denken Sie auch an den Aufbau eines Firmenpools?

Ja, so ein „Food Compound“ mit Firmen aus der Branche böte viele Synergien. Mir ist in Ostafrika keine solche Einrichtung bekannt, auch nicht in anderen Branchen. Wir verfügen hier in Kenia, wo Bühler seit Jahrzehnten vertreten ist, über Eigentum und haben bereits einen Schweizer Anbieter von Mehlverbesserungsmitteln als Mieter; wir besuchen dieselben Kunden. Denkbar wäre, weitere Unternehmen mit vergleichbaren Kunden als Mieter aufzunehmen. Das hilft auch uns, weil wir dem Kunden gegenüber unser Angebot abrunden und gemeinsam eine größere Kompetenz bieten. Vor allem können wir Marktinformationen gemeinsam verarbeiten. Über eine ähnliche Zusammenarbeit sprechen wir derzeit mit einem deutschen Bäckereitechnologie-Spezialisten sowie einem belgischen Hersteller von Bioenergieanlagen. Den Belgiern, mit denen wir weltweit kooperieren, haben wir ein Büro zur Miete bei uns angeboten.

Fehlen von Normen begünstigt Billigheimer

Kommt es in Afrika mehr noch als anderswo auf den Preis an?

Ja, der Kontinent ist in unserer Branche sicherlich die preissensibelste Region überhaupt. In Europa und auch anderswo gelten bei Lebensmitteln strikte Normen. Sicherheit und Nachverfolgbarkeit spielen eine große Rolle. Das zieht sich durch die gesamte Wertschöpfungskette. Auch Technologien und Prozesse müssen höchsten Ansprüchen der Lebensmittelsicherheit genügen. Entsprechend hoch sind die Einstiegshürden für Technikanbieter, und das kommt uns entgegen. Solche Normen fehlen in Afrika weitgehend. Niemand hindert Billiganbieter, mal eben eine Anlage ohne die eigentlich notwendige Betreuung hinzustellen. Anlagensicherheit oder Einhaltung von technischen Normen, CE-Zertifizierung gar, sind kein Thema. Wir haben regelmäßig Kunden, die zu uns zurückkommen, weil sie nach wenigen Jahren ihre Maschinen nicht mehr betreiben können: Sie erhalten von ihrem Lieferanten weder Ersatzteile noch Kundendienst und müssen ganze Maschinen frühzeitig austauschen. Da auch die Rechtssysteme wenig verlässlich sind, können Kunden selbst bei Vertragsbrüchen kaum ihre Ansprüche durchsetzen. Das kommt billigen, unseriösen Anbietern beim Erstgeschäft natürlich entgegen. Wir verfolgen demgegenüber eine langfristige Strategie, die den Kunden zum Erfolg verhilft.

Finanzierungen Ihrer Kunden sind angesichts knapper Mittel sicher ebenfalls schwierig?

Ja, und das trifft einen hochpreisigen Anbieter wie uns besonders. Die hohen Zinsen sind dabei nur ein Teil des Problems – 14 Prozent in Kenia oder 16 Prozent in Uganda. Das Thema ist vielschichtiger. Nahrungsmittelhersteller können oft keine vernünftigen Sicherheiten einbringen, was ihr Kreditvolumen sehr beschränkt. Außerdem sind die meisten unserer Kunden Familienunternehmen, die häufig instinktiv über Investitionen entscheiden. Da gibt es nicht einmal einen schriftlichen Geschäftsplan oder eine Berechnung der Rentabilität. Entsprechend schwierig oder unmöglich wird die Finanzierung.

Hängt das auch vom Land ab?

Wir haben einen Kunden in Äthiopien, der in mehreren Ländern Ostafrikas nach wie vor in Technologie von Bühler investiert. Das gilt aber nicht in Somalia beziehungsweise den Gebieten, die früher diesen Staat ausmachten. Der Markt dort ist vorhanden und wächst, dem Hersteller ist aber bewusst, dass das Umfeld keine politische oder wirtschaftliche Stabilität bietet, und am nächsten Tag alles anders oder sogar zerstört sein kann. Eine Anlage von uns würde sich längerfristig durchaus rechnen. Die Firma muss aber auf Sicht fahren. Bei uns hätte sie am Anfang relativ hohe Investitionskosten, für die sie bei einem solchen Projekt-Risikoprofil keine Finanzierung bekäme. Also entscheidet sich das Unternehmen für einen billigeren Anbieter, um das Risiko gering zu halten. Ähnlich ist das in Simbabwe: Einer unserer großen regionalen Kunden setzt fast überall auf Technologie von Bühler – nur in diesem einen Land nicht, da dort zum Zeitpunkt der Investition vor einigen Jahren die Zukunft sehr unsicher war.

Bühler bald mit Niederlassung in Äthiopien – trotz der Konflikte dort

Sehen Sie auch Äthiopien als einen Risikomarkt, angesichts der inneren Konflikte dort?

Nein, dort sehen wir vor allem Chancen. Deshalb eröffnen wir demnächst auch eine eigene Niederlassung in Addis Abeba. Die Lage in Äthiopien ist zwar komplex. Doch viele Lebensmittelverarbeiter sind in der Nähe der Hauptstadt angesiedelt und vom Konflikt in der Nordregion Tigray nicht betroffen. Äthiopien ist für uns ein Wachstumsmarkt: Mit einer großen, wachsenden Bevölkerung, die einen riesigen Bedarf an Lebensmitteln hat, und andere Ernährungsgewohnheiten als in sonstigen ostafrikanischen Ländern. Neben traditionellen Gerichten aus Hirse, Teff oder Mais ist Äthiopien ein großer Markt für Nudeln, Kekse und andere Lebensmittel. Und die lebensmittelverarbeitende Industrie dort ist weder modern noch hat sie genügend Kapazitäten. Das größte Problem in Äthiopien ist derzeit der Zugang zu Devisen. Auch dort schauen Investoren also vor allem auf einen niedrigen Anschaffungspreis und nicht auf die längerfristigen Kosten. Früher oder später dürfte sich das aber ändern, und dann rechnen wir mit mehr Investitionen in hochwertige Technologien.

Für Sie bleibt Ostafrika also ein interessanter Markt?

Auf jeden Fall. Die Nachfrage ist da und wächst langfristig, selbst wenn es kurzfristige Einbrüche gibt. Das gilt für uns und für andere Premiumanbieter aus Deutschland oder der Schweiz. Wenn Sie sich Mehlverpackungen im Supermarkt hier in Nairobi ansehen, sehen Sie oft den Aufdruck „made with Swiss technology“. Unsere Kunden schätzen unsere Kompetenz, Verlässlichkeit, die Langlebigkeit unserer Anlagen und besonders auch die lokale Präsenz im Service. Mit vielen Kunden bestehen jahrelange Geschäftsbeziehungen, oft über Generationen. Mit diesem Pfund müssen wir aber auch wuchern. Seit der Weltfinanzkrise vor gut zehn Jahren wird die Konkurrenz immer härter. Dass Umsätze jährlich um ein Zehntel wachsen, ohne dass man sich dafür allzu sehr ins Zeug legen muss – das ist passé. Wir müssen alle raus aus der Komfortzone. Wenn wir dies gemeinsam tun, mit mehr Kooperation untereinander, dann fällt es auch allen leichter.

Das Interview führte Ulrich Binkert von Germany Trade & Invest im September 2021.

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