Durch Covid-19 stieg in Tunesien der Bedarf im Pharmabereich und bei Infusionspumpen.
Das Unternehmen B. Braun aus Melsungen vertreibt in Nordafrika seit vielen Jahren Medizin– und Pharmaprodukte mithilfe eines Netzwerkes von lokalen Distributoren. Im Interview berichtet Laurent Thuillier, Area Sales Manager für Middle East & Africa, wie sich der Gesundheitsmarkt in Tunesien im letzten Jahrzehnt entwickelt hat und welche Trends sich abzeichnen.
Privater Gesundheitssektor ist Impulsgeber in Tunesien
Wie beurteilen Sie den tunesischen Gesundheitssektor?
In Tunesien ist das soziale Gefälle in der Gesundheitsversorgung besonders groß. Das bedeutet, je höher das Einkommen eines Patienten ist, desto besser ist die Versorgungsqualität. Mit den politischen Umwälzungsprozessen des Arabischen Frühlings 2011 wurde der Markt geschwächt. Nur durch Reformen und Subventionen ist es möglich, den Gesundheitsmarkt zu stabilisieren.
Die veralteten öffentlichen Krankenhäuser benötigen Investitionen. Und die sind leider unzureichend – auch solche Investitionen, die in den privaten Gesundheitssektor fließen. Wichtige Einnahmequellen wie beispielsweise der Medizintourismus aus dem Nachbarland Libyen sind seit 2016 weggebrochen.
Inwiefern beeinflusst die Covid-19-Pandemie die Marktentwicklung?
Die Covid-19-Pandemie hat das dringend notwendige Gesundheitsreformpaket nach hinten verschoben. Administrative Prozesse wie Produktprüfungen verzögern sich beträchtlich und damit leider auch die Zahlungen. Außerdem ist die Zahl von Eingriffen in der Chirurgie und in der Kardiologie rückläufig, dementsprechend sinken auch die Bedarfe in der Anästhesie. Gleichzeitig bemerken wir aktuell einen steigenden Bedarf im Pharmabereich und bei Infusionspumpen.
Welche Herausforderungen können auf ausländische Unternehmen im tunesischen Markt zukommen?
Der tunesische Markt ist durch staatlichen Protektionismus geprägt. Das staatliche Monopol bei pharmazeutischen Produkten wird durch die exponierte Stellung der Pharmacie Centrale de Tunisie (PCT) deutlich. Für Medizintechnikprodukte gibt es keinen Registrierungsprozess, dennoch ist eine Freigabe durch das Laboratoire National de Contrôle Tunisien (LNCT) erforderlich.
Normalerweise dauert die Prüfung einer Lieferung durchschnittlich drei bis vier Monate, bedingt durch Corona können es momentan jedoch bis zu sieben Monate sein. Auch für andere administrative Prozesse benötigt man in Tunesien Geduld. Durchaus kann es zu Zahlungsverzug von Krankenhäusern und seitens der PCT kommen. Außerdem gibt es zahlreiche chinesische und indische Wettbewerber auf dem Markt.
Welche Herangehensweise empfehlen Sie anderen Unternehmen für einen Markteintritt in Tunesien?
Wir empfehlen den Unternehmen, lokale Distributoren zu wählen, die erfahren sind im Umgang mit der PCT. Die Distributoren sollten administrative Prozesse für die Registrierung und Freigabe von Produkten gut kennen sowie effizient abwickeln und unterstützen können. Als deutsches Unternehmen sollte man ebenso einen regelmäßigen Kontakt zur PCT pflegen, um ein Vertrauensverhältnis aufzubauen.
Darüber hinaus ist es ratsam, den Fokus auf den privaten Gesundheitssektor zu legen, da sich dieser durch ein höheres Qualitätsbewusstsein und besseres Zahlungsverhalten auszeichnet.
Eine weiterführende Projektbegleitung wie beispielsweise technischer Aftersales-Service sowie Aus- und Weiterbildungsangebote bieten Möglichkeiten, sich von ausländischen Mitbewerbern abzuheben.
Welche Trends beobachten Sie aktuell im tunesischen Markt?
Trotz des momentanen Einbruchs des Medizintourismus aus Libyen hat Tunesien grundsätzlich gute Voraussetzungen, sich im Medizintourismus stark aufzustellen – für die Region und Subsahara-Afrika. Außerdem kann ein wachsendes privates Gesundheitsangebot perspektivisch neue Impulse geben. Ausreichend qualifiziertes Fachpersonal ist im Gesundheitsbereich vorhanden. Fachärzte fragen nach Qualität und schätzen deutsche Produkte.
In welchen Bereichen erwarten Sie mittelfristig mehr Wachstum?
Ganz klar ist die Digitalisierung eines der Zukunftsthemen auch in Tunesien. Ein gutes Beispiel dafür ist Tuneps, ein Online-E-Procurement-System, das auch ausländische Unternehmen seit letztem Jahr nutzen können. Um das Gesundheitssystem weiter zu digitalisieren, wurde die Gesundheitsbranche in das Reformprogramm "Tunisie Digitale 2020" aufgenommen.
Weitere Informationen
|
Das Interview führte Katarina Kunert vom Afrika-Verein im Januar 2021.