Die Nehlsen AG will in Ghana mit ihrem Projekt zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft beitragen.
"Mit einer funktionierenden, nachhaltigen Kreislaufwirtschaft die weltweite Ressourcenverschwendung und Umweltverschmutzung stark zu reduzieren" – diese Vision hat sich die Rodiek & Co GmbH, Tochter des Bremer Entsorgungsunternehmens Nehlsen AG, auf die Fahne geschrieben. In Ghanas Hauptstadt Accra hat Rodiek in Zusammenarbeit mit dem lokalen Abfallwirtschaftsunternehmen Tidyup Ghana Ltd. eine Recyclingstation implementiert. Im Interview erläutern Geschäftsführerin Claudia Bunkenborg, Umweltingenieur Leon Jäger und Maschinenbauingenieurin Fatimé Diallo von der Rodiek & Co GmbH das Projekt und die Zukunftspläne des Unternehmens. Claudia Bunkenborg ist darüber hinaus bei der Nehlsen AG für das internationale Geschäft verantwortlich.
Ghanaisches Fundament trifft auf deutsches Knowhow in der Abfallwirtschaft
Wie können wir uns die Recyclingstation in Accra vorstellen?
Gemeinsam mit Tidyup haben wir eine zehn Jahre alte Abfall-Umladestation wiedereröffnet und zu einer Recyclingstation ausgebaut. Die Station verfügt über eigene Stromversorgung, LKW-Fuhrpark, Bürogebäude, technische Einrichtungen und einen Anlieferhub, wo das gesammelte Material – zum Beispiel PET-Flaschen – angenommen wird. Anschließend wird das Material gewogen, händisch sortiert, weiterverarbeitet und für den Verkauf an lokale Abnehmer vorbereitet. In der Anlage arbeiten insgesamt zehn Festangestellte. Hinzukommen einige befristet angestellte Sortierer und circa 60 registrierte Materialsammler.
Wie werden die Materialsammler rekrutiert?
Die Materialsammler leben in den umliegenden Communities. Tidyup hat mit Hilfe wichtiger Institutionen wie Kirchengemeinden oder Bürgermeistern auf das Projekt aufmerksam gemacht und zu einer Schulung eingeladen. Interessierte konnten sich mit der Tracking-App Cleanhub noch während der Schulung als Sammler registrieren. Über diese App eines Berliner Start-ups werden die gesammelten Plastikmengen den Sammlern direkt zugeordnet, was die Vergütung erleichtert. Zudem können wir dokumentieren, dass das Material unter Einhaltung sozialer Standards gesammelt wurde.
Was sind die Kernaufgaben von Rodiek bei dem Projekt?
Wir standen Tidyup vor allem in der Planungsphase, im Projektmanagement und in den Bereichen Wissensmanagement und Schulungen beratend zur Seite. Unsere Aufgabe war es, ein tragfähiges Konzept zu erstellen, effiziente Prozesse zu etablieren, Schulungen zu planen und Technologien einzuführen, die das Vorhaben erleichtern.
Welche langfristigen Ziele verfolgen Sie mit dem Projekt?
Das Projekt dient dem Aufbau einer Kreislaufwirtschaft in Ghana und soll dabei auch den formellen und den informellen Sektor für eine langfristige Geschäftsbeziehung zusammenbringen. Es sind weitere Sammlungskooperativen in der Umgebung der Recyclingstation geplant, die an das Sammelsystem angeschlossen werden. Neue Sammler werden dabei stets darin geschult, wie sie die benötigten Materialqualitäten erreichen. Die Ausbildung vor Ort ist ein essenzieller Baustein des Engagements.
Unterstützt wird das Projekt von der "Sonderinitiative Ausbildung und Beschäftigung" des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH.
Erfolgsfaktor: Vernetzung mit deutschen Unternehmen und mit Partnern vor Ort
Wie ist die Kooperation mit Tidyup zustande gekommen?
Der Kontakt zu Tidyup hat sich über ein anderes deutsches Unternehmen ergeben, mit dem wir seit einer virtuellen Geschäftsanbahnungsreise der Delegation der Deutschen Wirtschaft in Ghana in engem Austausch stehen. Dieses deutsche Unternehmen ist gleichzeitig ein langjähriger Geschäftspartner der Nehlsen AG. Es hatte Tidyup einige Jahre zuvor auf der WACEE – der Westafrikanischen Energie- und Umweltmesse – kennengelernt, woraus eine Vertriebspartnerschaft entstanden ist.
Wie wichtig sind Partnerschaften mit lokalen Unternehmen grundsätzlich?
Abfallwirtschaft ist ein völlig lokales Geschäft. Das heißt, selbst wenn man sich entscheidet, einen eigenen Standort vor Ort zu gründen – wie wir, Rodiek, dies in Angola getan haben – wird man es ohne lokale Partner schwer haben. Sie sind äußerst wichtig, um den Markt durchdringen und die lokalen Herausforderungen richtig einschätzen zu können.
Will man, wie Rodiek, nicht überall einen eigenen Standort errichten, sondern Knowhow und Beratung anbieten, so ist man erst recht auf einen passenden lokalen Partner angewiesen. Hierbei ist besonders wichtig, dass auf beiden Seiten ein Win-Win-Effekt entsteht – andernfalls wird der Markteintritt schwierig.
Ihren Ausführungen zufolge scheint auch der Austausch zwischen deutschen Unternehmen wichtig, um Geschäfte in Afrika zu machen. Richtig?
Die Vernetzung mit anderen deutschen Unternehmen halten wir für einen ganz zentralen Faktor. Auch deshalb ist die Nehlsen AG Mitglied und Claudia Bunkenborg stellvertretende Vorstandsvorsitzende bei German RETech Partnership (RETech).
Branchenspezifische Arbeitsgruppen im Rahmen des Wirtschaftsnetzwerks Afrika sind auch ein Schritt in die richtige Richtung, weil sie einen zielgerichteten Austausch zwischen deutschen Unternehmen und somit Synergieeffekte ermöglichen. Um ein Beispiel zu nennen: Als Rodiek sind wir kein Hersteller von Produkten oder Anlagen – wir bieten Beratungsleistungen. D.h. wir können zum Beispiel andere deutsche Unternehmen, die eine Produktion in Afrika aufbauen möchten, in punkto Abfallmanagement vor Ort begleiten und unterstützen.
Von der Bundesregierung geförderte Projekte und Reisen können helfen
Neben Ghana sind Sie auch in anderen afrikanischen Märkten aktiv. Wie finden Sie Ihre Zielmärkte?
Unsere aktuellen Aktivitäten in Ghana wurden vor allem durch unsere Teilnahme an der bereits erwähnten virtuellen Geschäftsanbahnungsreise angestoßen. Zudem sind wir in Angola aktiv: Unser Mutterkonzern, die Nehlsen AG, war bereits Ende der 1980er Jahre im Rahmen eines Weltbank-Programms beim Aufbau einer Müllabfuhr in Angola beratend tätig. Nach der positiven Wirtschaftsentwicklung des Landes ab 2005 hat sich die Rodiek & Co GmbH entschieden, ein Tochterunternehmen, Nehlsen Ambiente Angola Lda., in Luanda zu gründen. Gemeinsam arbeiten die Rodiek & Co GmbH und Nehlsen Ambiente Angola aktuell an der Machbarkeitsstudie "EcoLu – EcoPontes Luanda". Das Projekt wird von der Exportinitiative Umwelttechnologien des Umweltministeriums gefördert. Es soll Erkenntnisse darüber liefern, wie man eine Wertstoffsammlung so aufsetzen kann, dass sich die Wertstoffe national wie auch international vermarkten lassen. Rodiek hat hier die Projektkoordination übernommen.
Zudem schauen wir kontinuierlich nach passenden Projektausschreibungen von deutschen Ministerien, der EU oder anderen Trägern und stoßen so auf neue Märkte. Natürlich müssen wir bei unseren Vorhaben stets auch die rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in dem jeweiligen Land berücksichtigen. Unserer Erfahrung nach ist für den Erfolg vor allem wesentlich, dass man sich in einem Land sehr gut auskennt und eng mit lokalen Partnern zusammenarbeitet. Deshalb möchten wir uns zunächst auf wenige Fokusländer in Afrika konzentrieren.
Gibt es bestimmte Herausforderungen beim Markteintritt, die Sie in mehreren afrikanischen Ländern angetroffen haben?
Da unsere Tätigkeit keine selbsttragende Ressourcenwirtschaft ist, spielt bei uns das Thema Finanzierung oft eine herausfordernde Rolle. Erfreulicherweise kennen wir durch unser Netzwerk diverse Plattformen, die als Co-Financing-Instrument durch sogenannte Plastic Credits dienen können. Wir versuchen, unser Wissen darüber weiterzugeben. Dadurch steigen die Chancen für unsere lokalen Partner, ein wirtschaftlich tragfähiges Geschäftsmodell aufzubauen.
Auch kulturelle Unterschiede sind zu berücksichtigen: Man kann sich teilweise kaum vorstellen, wie unterschiedlich so manches in Ghana und in Deutschland gehandhabt wird, wie langwierig einige bürokratische Prozesse zum Beispiel sein können.
Welche Instrumente der Außenwirtschaftsförderung empfehlen Sie deutschen Unternehmen, die am Markteintritt in Afrika interessiert sind?
Wir haben an Reisen des KMU-Markterschließungsprogramms des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) sowie an verschiedenen Projekten des Bundesentwicklungsministeriums (BMZ) und des Bundesumweltministeriums (BMU) teilgenommen. Für Recherchen nutzen wir häufig die Publikationen und Websites von Germany Trade and Invest. Außerdem profitieren wir vom Netzwerk der Deutschen Auslandshandelskammern in Afrika. Wir stehen zum Beispiel mit der Delegation der Deutschen Wirtschaft in Angola und Ghana im regelmäßigen Austausch und nehmen an deren Events teil. Auch die verschiedenen Angebote des Wirtschaftsnetzwerks Afrika empfinden wir als hilfreich.
Sie werden in diesem Jahr erstmals an der WACEE – der westafrikanischen Messe für nachhaltige Energie und Umweltlösungen – mit einem virtuellen Stand teilnehmen. Was erwarten Sie von Ihrer Teilnahme?
Über die WACEE wollen wir weitere deutsche und westafrikanische Partner finden, die wir bei ihren Recyclingaktivitäten unterstützen können. Mit unserem "EcoLu-EcoPontes"-Projekt in Angola erarbeiten wir eine Blaupause für Recyclinghöfe. Ziel ist es, diese auch an anderen Orten in Afrika und weltweit umzusetzen. Die WACEE bietet uns eine gute Plattform, um potenzielle Interessenten dafür zu finden. Zugleich wollen wir auch bestehende Partnerschaften in Ghana weiter ausbauen.
Als agiles Unternehmen – mit Zugang zu 90 Jahren Erfahrung und Wissen unseres Mutterunternehmens – arbeiten wir permanent an neuen Ideen, wollen unser Angebot ausweiten. Auf der WACEE möchten wir diese neuen Ideen vorstellen und mit potenziellen Partnern spiegeln.
Weiterführende Informationen
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Das Interview führten Alexander Sicking, Delegation der Deutschen Wirtschaft in Ghana, und Marie Scholz, AHK Büro Subsahara-Afrika im September 2021. Alexander Sicking leitet als Business Scout for Development das Kompetenzzentrum Energie und Umwelt an der Delegation der Deutschen Wirtschaft in Ghana.