Sina El Rayes von der nexum AG gemeinsam mit Dennis Machu, Solutions Architect & Agile Coach aus Sekondi-Takoradi in Ghana

Sina El Rayes von der nexum AG gemeinsam mit Dennis Machu, Solutions Architect & Agile Coach aus Sekondi-Takoradi in Ghana

Seit der Gründung 2007 berät und unterstützt die Kölner Digitalberatung und -agentur nexum AG ihre Kunden bei Digital-, Kommunikations- und Softwareprojekten. Anders als bei vielen anderen Unternehmen ist der Fachkräftemangel bei nexum kein Problem mehr. Der Grund ist ein neues Modell der Zusammenarbeit, bei dem Angestellte von nexum mit IT-Talenten aus Ghana und Ruanda in flexiblen Teams zusammenarbeiten. Möglich wurde dies durch eine strategische Partnerschaft mit dem ebenfalls in Köln ansässigen IT-Unternehmen AmaliTech.

Vom Pilotprojekt zur strategischen Partnerschaft

Frau El Rayes, wieso rekrutieren Sie Fachkräfte in Ghana und Ruanda? Was ist das Besondere an Ihrem Ansatz?

Porträtbild: Sina El Rayes, Head of Development bei der nexum AG nexum AG Dies ist ein eingebettetes Bild

Ausgangspunkt war der verstärkte Fachkräftemangel in der IT. Es gibt einfach zu wenig gut ausgebildete Fachkräfte, um den Bedarf abzudecken. Wir waren als Digitalberatung und -agentur selbst vom Fachkräftemangel betroffen. Da haben wir nach neuen Ansätzen Ausschau gehalten.

Während in Ghana und Ruanda Jobperspektiven fehlen, haben wir hier in Deutschland eine riesige Lücke zu stopfen. In vielen Ländern Afrikas gibt es viele junge, motivierte und gut ausgebildete Menschen, die nicht an den internationalen Arbeitsmarkt andocken können, weil ihnen die Praxiserfahrung fehlt. Hier schlägt AmaliTech eine Brücke: Absolventen in Ghana und Ruanda werden vor Ort nach europäischem Standard weitergebildet. Wir können diese Leute dann bei uns einsetzen und uns darauf verlassen, dass die Qualität in der Entwicklung einheitlich hoch ist.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit AmaliTech und wie hat sich die Partnerschaft entwickelt?

Zunächst waren wir ein Kunde von AmaliTech. Aus einem Pilotprojekt wurde dann eine strategische Partnerschaft. Bei dem Pilotprojekt ging es um einen Online-Shop. Wir hatten zwei Entwickler auf unserer Seite und fünf Kollegen von AmaliTech, die im Team zusammengearbeitet haben. Auf unserer Seite gab es zusätzlich einen Produktverantwortlichen, der Anforderungen definiert und priorisiert hat. Von AmaliTech kam ein Scrum Master dazu, der mit agilen Methoden des Projektmanagements und bei interkulturellen Barrieren unterstützt hat.

Wir haben die Partnerschaft dann ausgebaut, weil wir gesehen haben, dass auch unsere Kunden vom Fachkräftemangel betroffen sind. Dafür haben wir mit AmaliTech dauerhaft ein umfangreiches Praxisprojekt in der Weiterbildung aufgesetzt, das an das Pilotprojekt angelehnt ist. Bevor die Fachkräfte aus Ghana und Ruanda zu uns kommen, können sie ihre Praxiskenntnisse in diesem Projekt vertiefen. Sie wissen dann schon vor ihrem Einsatz beim Kunden, wie wir in größeren Softwareprojekten zusammenarbeiten.

Neben der reinen Bereitstellung von Fachkräften beinhaltet unsere gemeinsame Lösung vor allem auch den Aufbau leistungsstarker Teams. Wir stellen die Teams nicht nur basierend auf den benötigten Skills zusammen, sondern sorgen auch dafür, dass sie sich als Team entwickeln und nahtlos in bestehende Organisationsstrukturen integrieren. Dabei setzen wir auf in allen Belangen gemischte Teams.

Ein Teamverständnis jenseits von Outsourcing

Wie stellen Sie die Teams zusammen, die beim Kunden die IT-Projekte durchführen?

Das kann ganz unterschiedlich sein, je nach Struktur und Kultur des Unternehmens. Die Teams bauen wir passend zu den Anforderungen der Kunden auf. Der eine braucht eine kleine Einsatzgruppe, um eine Website aufzubauen, der andere eine ganze Organisationseinheit, die das Unternehmen langfristig unterstützt. In der Regel gibt es aber immer einen Mix aus Senior- und Junior-Entwicklern in den Teams. Die erfahreneren Entwickler kommen von nexum und agieren als Mentoren für die jüngeren afrikanischen Kollegen von AmaliTech. Mit zunehmender Praxis übernehmen die Mitarbeiter aus Ghana und Ruanda auch mehr Verantwortung in den Projekten.

Sie betonen ausdrücklich, dass Sie kein klassisches Outsourcing betreiben. Wie muss man das begreifen?

Vor allem die Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten, macht den Unterschied: Auch wenn wir zwei unterschiedliche Unternehmen sind, ist unser Selbstverständnis, dass wir als Team auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten. So treten wir dem Kunden gegenüber auch auf. Wir sind davon überzeugt, dass man als Partnerunternehmen nur einen guten Job machen kann, wenn man das große Ganze versteht.

Viele IT-Firmen lassen ihre Arbeit in Asien erledigen. Inwiefern ist die Zusammenarbeit mit Afrika anders?

Die starke Zeitverschiebung ist bei Asien auf jeden Fall ein Thema. Ghana und Ruanda haben maximal zwei Stunden Zeitunterschied, was extrem wichtig ist, wenn man als Team eng zusammenarbeitet und viele gemeinsame Termine hat. Gute Englischkenntnisse sind für die Kommunikation im Team ebenso essenziell und die sind bei den afrikanischen Kollegen extrem gut.

Fachkräftemangel: eine Frage der Perspektive

Wie zukunftsfähig ist das Modell? Hat es das Potenzial, repliziert zu werden?

Mir ist durch die Kooperation mit AmaliTech klar geworden, dass man bei der Frage nach dem Fachkräftemangel die Perspektive ändern sollte. Der IT-Arbeitsmarkt ist ein globaler Arbeitsmarkt. Da muss man den Radius erweitern und nicht nur die Expertise in Deutschland einkalkulieren. Wenn man das tut, stellen sich ganz andere Fragen: Haben wir noch einen Fachkräftemangel? Sind Unternehmen in Deutschland bereit, sich auf neue Modelle der Zusammenarbeit einzulassen? Ich glaube, dass viele Unternehmen das Potenzial noch nicht erkannt haben. Sie haben Osteuropa auf dem Schirm, Afrika aber noch nicht.

Sie investieren dann unheimlich viel Zeit und Geld in Employer Branding-Maßnahmen: Sie versuchen, Talente aus Deutschland mit hohen Gehältern und so weiter für sich zu gewinnen. Das ist ja auch richtig und man kann die Lücke nicht nur mit IT-Fachkräften aus Afrika schließen. Ich glaube aber, dass ein Perspektivwechsel auf diesen neuen Talentpool viele Chancen eröffnet. Das digitale Geschäft erfordert auch nicht zwingend, dass die Leute nach Deutschland kommen und ihre Länder verlassen.

Für welche Art von Unternehmen ist Ihr Geschäftsmodell geeignet? Wie sollte man beim Start vorgehen?

Bevor ein Unternehmen solch eine Form der Zusammenarbeit eingeht, sollte es prüfen, ob man dafür bereit ist: Was ist mein Ziel? Brauche ich Unterstützung für ein Projekt während der nächsten sechs Monate oder möchte ich strategisch wichtige Skills langfristig aufbauen? Wie kann ein Plan zur Skalierung aussehen? Sind wir selbst personell in der Lage, die Zusammenarbeit aufzusetzen? Wie möchte man in den Teams und mit den Kunden zusammenarbeiten?

Welche Zukunftspläne stehen bei Ihnen an?

Wir haben bislang vor allem mit Ghana zusammengearbeitet, jetzt wird aber auch die Zusammenarbeit mit Ruanda ausgebaut. Wir möchten uns kontinuierlich weiterentwickeln und verbessern. Die Teams haben da eigene Vorstellungen, wie das aussehen soll und machen Vorschläge. Das greifen wir auf und entwickeln die Kultur der Zusammenarbeit in den Kernteams ständig weiter. Beispielsweise gibt es ein Format namens Culture Coffee, bei dem die Teams außerhalb des Projektalltags die Kultur des jeweils anderen kennenlernen können.

Was ist Ihr persönlicher Eindruck von Ihren Besuchen in Ghana?

Vor Ort ist die Motivation und der Wille sich weiterzuentwickeln extrem groß. Als wir uns das erste Mal für ein Feedback zusammengesetzt haben, gab es einen sehr konstruktiven Austausch darüber, in welchen Bereichen und wie man Dinge verbessern kann. Das zu sehen, ist total schön.

Bei den Entwicklern im Speziellen ist es ja so, dass sie neben Englisch noch ihre ganz eigene IT-Sprache sprechen. Zu programmieren und technische Herausforderungen zu lösen, verbindet extrem. Das schweißt die Teams zusammen, so dass die kulturellen Unterschiede in den Hintergrund treten.

Das Interview führte Carolina Zishiri von Germany Trade & Invest im Mai 2023.

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